Chadschimurad Magomedowitsch Kamalow *1965 Dagestan, ermordet 2011

Chadschimurad Magomedowitsch Kamalow war ein Journalist aus Russland Dagestan. Er wurde 2011 ermordet

Chadschimurad Magomedowitsch Kamalow *1965 Dagestan, ermordet 2011

Kamalow war ein russischer investigativer Journalist awarischer Nationalität, Inhaber des Verlagshauses SWOBODA SLOWA  („REDEFREIHEIT“), Gründer der unabhängigen Wochenzeitung TSCHERNOWIK (ЧЕРНОВИК).

Eine langjährige Mitarbeiterin, die preisgekrönte dagestanische Journalistin Nadira Isayeva, beschreibt Kamalow und die Arbeit in der Redaktion so:

„Während meiner siebenjährigen Zusammenarbeit mit Khadzhimurad Kamalov habe ich auf diesen Tag gewartet. Den Tag, an dem sie ihn getötet haben.
Im Oktober 2004 betrat ich zum ersten Mal die Redaktionsräume von Tschernowik, nachdem ich auf eine Stellenausschreibung für einen Wirtschaftsredakteur geantwortet hatte. Die Büros befanden sich im dritten Stock eines bröckelnden Gebäudes und bestanden aus drei bescheidenen Räumen. Der Gründer der Zeitung, Khadzhimurad, saß mit seinem Buchhalter und seiner Sekretärin in einem Büro. Das Interview verlief etwas unorthodox und fand in Anwesenheit aller drei statt. Khadzhimurad stellte die umfassendsten Fragen und schien meiner Gelehrsamkeit zu vertrauen. Eine Woche später, nachdem er sich meine Ideen für Stories durchgelesen hatte, gab er mir die Stelle.

Jeden Tag, wenn ich zur Arbeit kam, kamen mir Leute mit Computern und anderen technischen Geräten entgegen. Wie ich später von meinen neuen Kollegen erfuhr, verkaufte Khadzhimurad von seinem Büro aus alles Mögliche und Unmögliche. Wegen eines Konflikts mit den Geldgebern der Zeitung – einflussreichen dagestanischen Persönlichkeiten – hatte die Zeitung Geldprobleme und stellte ihr Erscheinen ein. Khadzhimurad verkaufte sogar sein eigenes Auto. Später lieh er sich Geld und benutzte als Sicherheit die kleine Wohnung, die er mit seiner Frau und seinem Sohn teilte. Fast sechs Monate lang kamen die Mitarbeiter:innen der Zeitung jeden Wochentag zur Arbeit, ohne bezahlt zu werden. Aber sie vertrauten darauf, dass der Eigentümer die Investoren davon überzeugen würde, dass die Zeitung wieder ein rentables Geschäft werden würde. Und genau das gelang Kamalov auch. Die Zeitung begann wieder zu erscheinen und wurde finanziell eigenständig.


Khadzhimurad Kamalov hatte viele Feinde. Er scheute sich nicht, sein Motto auszusprechen: „Eine Zeitung braucht keine Freunde“. Er war nicht ohne einen gewissen Leichtsinn. Er konnte zu einem Treffen mit ein paar eiskalten Banditen losziehen und unverletzt zurückkommen. Er liebte es, gegen Korruption zu ermitteln. Viele von denen, die durch seine Enthüllungen enttarnt wurden – hohe Beamte, Polizeibeamte und Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft – hatten eine kriminelle Vergangenheit. Einige waren gefährlich und schreckten nicht vor einem Mord zurück. Oft kam es zu Konfrontationen mit führenden Lokalpolitikern verschiedener Gemeinden Dagestans, von denen viele Kriminelle sind. Wir gewöhnten uns daran, dass dubiose Leute mit verschiedenen Drohungen in die Büros kamen und durch die Kraft der Argumente und den magischen Charme dieser geheimnisvollen Person Kamalov entwaffnet wurden.
Als vor zwei Jahren, im November 2009, der inguschetische Aktivist Makscharip Auschew ermordet wurde, fragte ich Chadschimurad: „Werden sie bald anfangen, uns zu töten?“ Mit „uns“ meinte ich auch mich, aber vor allem ihn. Denn ich hatte Chadschimurad immer mit den klügsten Köpfen der Opposition im Nordkaukasus in Verbindung gebracht: Magomed Jevlojew, Auschew, Ruslan Nachuschew. Die ersten beiden wurden von den Sicherheitskräften getötet. Der dritte verschwand 2005 spurlos, nachdem er zu einem Treffen in den örtlichen FSB-Büros „eingeladen“ worden war.
Seine Antwort: „Dagestan hat noch ein paar Jahre Zeit.“ Genau zwei Jahre und einen Monat später töteten sie ihn.“
 (Die Autorin musste sich später in Sicherheit bringen und lebt inzwischen im Exil in den USA.)

Er war ein streitbarer Redakteur, der seine Arbeit machte. Er berichtete über die Bestechung von Beamten, die organisierte Kriminalität und über Gesetzesbrüche, die die russische Nordkaukasusrepublik fest im Griff halten – und er wusste, welches Risiko er damit einging. Kamalow war bekannt für seine tiefgründigen, investigativen journalistischen Recherchen und seine kompromisslosen Positionen. Mutig griff er immer wieder sensible Themen wie Korruption, gewaltsame Ausschreitungen von Polizei und Soldaten gegen Zivilisten und die Praxis des „Verschwindenlassens“ von Menschen auf.

Seine Zeitung TSCHERNOWIK muss sich regelmäßig gegen juristische Klagen und absurde Vorwürfe wehren. So wurde das Blatt beispielsweise beschuldigt, dagestanische Rebellengruppen zu unterstützen. Mitarbeiter der Redaktion wurden zum Ziel von Hass- und Schmierkampagnen.

Kamalow wurde am 15. Dezember 2011 erschossen.

„In der Nacht gegen 23.30 Uhr wurde er vor dem Hauptsitz des Unternehmens in der Hauptstadt Machatschkala  erschossen. Augenzeugen zufolge wurden ca. 14  Schüsse auf  ihn abgefeuert. Der oder die Täter flohen anschließend in einem schwarzen Lada. Der Journalist starb in einem Rettungswagen auf dem Weg ins Krankenhaus.

Der Anschlag war zu erwarten gewesen – ein halbes Jahr zuvor war ein anderer dagestanischer Journalist – Yakhya Magomedov –  ermordet worden, damals „lediglich“ mit 4 Schüssen.

Quelle: theguardian.com

Künstlerin: Susanne Köhler