Der Journalist Hrant Dink war ein Armenier mit türkischer Staatsbürgerschaft und Herausgeber der in Istanbul erscheinenden Wochenzeitung AGOS, in der politisch heikle Themen offen diskutiert werden, und zwar in zwei Sprachen, und zwar Armenisch und Türkisch.
2005 wurde er angeklagt, nachdem er ausführlich über das Verhältnis der Armenier zu den Türken geschrieben hatte. Anstoß erregte vor allem folgende Passage: „Das edle Blut, welches das von den Türken abströmende, giftige Blut ersetzen wird, ist in denjenigen Adern enthalten, die die Armenier zusammen mit Armenien erschaffen werden“. Hrant erklärte, dieser Satz sei aus dem Zusammenhang gerissen; er habe die Diaspora-Armenier dazu aufrufen wollen, sich von ihrem Hass auf die Türken zu befreien, der ihr Blut vergifte, und dieses „vergiftete Blut“ durch das „reine Blut“ einer normalen Beziehung zu ihrer armenischen Heimat zu ersetzen.
Trotzdem wurde er 2005 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Damit erhielten die Angriffe auf Hrant Dink offiziellen Rückhalt. Nationalistischen Kräften in Gesellschaft und Justiz verfolgten den Redakteur und überhäuften ihn mit Klagen.
Am 19. Januar 2007 wurde er in Istanbul vor dem Verlagshaus der Agos von einem 16-Jährigen erschossen. Dieser und ein rechtsnationaler Hintermann wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Nach der Trauerfeier begleiteten mehr als 100.000 Menschen den Leichenwagen.
Drei weitere Verfahren waren bei Hrant Dinks Tod noch anhängig, unter anderem weil er geschrieben hatte, dass der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich dazu geführt habe, „dass ein Volk, das 4000 Jahre auf diesem Boden gelebt hat, ausgemerzt worden ist“.
Noch im Jahr seiner Ermordung wurde die Hrant-Dink-Stiftung gegründet, die unter anderem regelmäßig Berichte über Hassreden in den Medien veröffentlicht.
Mehr als 14 Jahre nach der Ermordung von Hrant Dink im Januar 2007 sind im März 2021 einige der Hintermänner vor einem Istanbuler Gericht verurteilt worden.
Drei Männer, alles ehemals hohe Polizeibeamte, wurde zu lebenslangen oder erschwert lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Die anderen der insgesamt 74 Angeklagten erhielten geringere Haftstrafen oder wurden freigesprochen.
Dass dieser Prozess zustande kam, hat vor allem damit zu tun, dass die jetzt Verurteilten nicht mehr vom türkischen Staat gedeckt wurden: Sie gehören allesamt der Gülen – Bewegung an, mit der sich Staatschef Erdogan 2014 überworfen hatte. Zudem gab es einen großen Unterstützerkreis, der in der Öffentlichkeit immer darauf gedrängt hatte, die Tat vollständig aufzuklären.
Der Hauptangeklagte, Ramazan Akyürek, war zum Zeitpunkt der Tat Chef des Nachrichtendienstes der Polizei. Zuvor war er Polizeichef von Trabzon, der Stadt, aus der der jugendliche Mörder von Hrant Dink stammte, der gemeinsam mit drei Freunden von Gendarmerieoffizieren in Trabzon zu der Tat angestiftet worden war. Auch die beiden anderen Angeklagten, die nun eine lebenslange Freiheitsstrafe erhielten, waren im Nachrichtendienst der Polizei oder Offiziere der Gendarmerie in Trabzon.
Die Anhänger der Gülen-Sekte gehörten 2007 zu den wichtigsten Unterstützern Erdoğans. Es ist möglich, dass sie im Hintergrund an dem Attentat mitwirkten, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie die Hauptantreiber waren.
Der Anwalt der Familie von Hrant Dink, Hakan Bakircioğlu, kritisierte nach dem Urteil denn auch, dass die wirklichen Drahtzieher noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen worden seien, man habe die ganze Geschichte nun der Gülen-Sekte in die Schuhe geschoben.
Ihr eigentliches Ziel, die Diskussion über den Völkermord in der Türkei zu stoppen, haben die Attentäter und ihre Hintermänner damals nicht erreicht.
Quelle: Wikipedia, Quelle: https://taz.de
Künstlerin: Ernestine Kuger-Hoberg
Text: Gerhard Keller
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