Peter R. de Vries,  * 1956 Niederlande, ermordet 2021 Niederlande

Peter R. de Vries,  * 1956 Niederlande, ermordet 2021 Niederlande

Der Kriminaljournalist und Publizist Peter de Vries begann seine Laufbahn 1978 bei der Zeitung DE TELEGRAAF und beschäftigte sich seit 1979 hauptsächlich mit Kriminalreportagen. 1987 wurde er Chefredakteur der Wochenzeitung AKTUEEL und veränderte die Wochenzeitung in ein Kriminalmagazin. Parallel wirkte er an einer TV-Sendung namens ‚Crime Time‘ mit. Seit 1991 arbeitete er als freier Kriminalreporter und schrieb für Zeitungen wie ALGEMEEN DAGBLAD und PANORAMA. Seine eigene Fernsehsendung ‚Peter R. de Vries, misdaadverslaggever‘ (Peter R. de Vries, Kriminalreporter), die von 1995 bis 2012 ausgestrahlt wurde, machte ihn bekannt. Dort beschäftigte er sich mit Straftaten wie Mord, Vergewaltigung, Betrug und Kinderpornografie. Durch seine Berichterstattungen mit oder ohne versteckte Kamera wurden Fälle aufgeklärt, Täter überführt und Unschuldige freigelassen. Es folgten von ihm ausgestrahlte Mehrteiler über Verletzungen von Kinderrechten, Internet-Mobbing und Gerichtsverfahren. Nach eigenen Angaben beschäftigte er sich im Verlauf seines Berufslebens mit rund fünfhundert Mordfällen.

Bei seinen niederländischen Kollegen und in der breiten Öffentlichkeit war Peter de Vries sehr geschätzt. Er beschäftigte sich sowohl mit aktuellen Fällen als auch mit unaufgeklärten älteren Fällen. Dabei ging sein Engagement über journalistische Arbeit hinaus: In vierzig Jahren als Kriminalreporter gewann er das Vertrauen mehrerer Opfer und stellte sich ihnen als Sprachrohr oder Berater zur Verfügung. Innerhalb seines Fachgebiets nahm er unterschiedliche Rollen ein. So gründete er auch 2005 die „Partei für Gerechtigkeit, Tatkraft und Fortschritt“, um sich dem Thema Sicherheit zu widmen, trat dann aber wegen fehlenden Zuspruchs bei den Wahlen nicht an.

Seinen internationalen Durchbruch erreichte er 1987 mit seinem Bestsellerbuch über die Entführung des Unternehmers und Bierbrauers Freddy Heineken (1983), wodurch er bei seinen Recherchen einen der 5 Täter 1994 aufspüren konnte. Basierend auf diesem Buch wurde 2011 in den Niederlanden die Entführung Freddy Heinekens verfilmt. Danach kam 2015 in den USA der Film ‚Kidnapping Freddy Heineken‘ heraus, der sich ebenfalls an seinem Buch orientierte. 

Als schönsten Moment seiner Karriere bezeichnete Peter de Vries einen Freispruch in 2002 von zwei zuvor zu Unrecht Verurteilten im sogenannten ‚Puttener Mordfall‘.

2008 gewann er einen Emmy Award für seine Reportagen über den Fall Natalee Holloway. Die US-Amerikanerin war 2005 auf der Karibikinsel Aruba verschwunden und vermutlich von einem Niederländer getötet worden.

Am 6. Juli 2021 wurde er in der Innenstadt von Amsterdam auf offener Straße auf dem Weg von einer Talkshow zu seinem Auto mit fünf Schüssen, davon mindestens einem in den Kopf, niedergeschossen. Er erlag 9 Tage später seinen Verletzungen in einem Amsterdamer Krankenhaus. Die Täter, ein 35-jähriger Pole aus dem Südosten des Landes und ein 21 Jahre alter Rotterdamer wurden kurz nach der Tat festgenommen. Die Ermordung wird mit dem im März 2021 begonnen, sogenannten ‚Marengo-Prozess‘, dem bislang größten Prozeß gegen organisierte Kriminalität in den Niederlanden, in Verbindung gebracht. Peter de Vries war in diesem Prozess die Vertrauensperson des Kronzeugen gegen den mutmaßlichen Drogenboss und wurde von der Drogenmafia bedroht. Er erhielt eine Zeit lang Polizeischutz, lehnte jedoch später jeglichen Personenschutz ab, da dieser sein Leben zu sehr einschränke. 

„Zum ersten Jahrestag des Anschlags riefen Sohn Royce und Tochter Kelly de Vries die „Peter R. de Vries-Stiftung“ ins Leben. Sie führen die Arbeit des Ermittlers weiter, der über Crowdfunding im Internet Geld eingeworben hatte, um ungelöste Straffälle aufklären zu können. Cold Cases – frei übersetzt ruhende Fälle“ – heißen sie im der Sprache der Ermittler*innen.“ berichtet die Frankfurter Rundschau am 12.Juli 2022.

Ebenfalls ein Jahr nach dem Mord wurden zwei weitere Verdächtige in Spanien und auf der Karibikinsel Curacao festgenommen. Im Juli 2022 waren somit fünf Verdächtige in Gewahrsam.

Am 12.Juni 2024 verhängte das Gericht u.a. lange Haftstrafen gegen drei Angeklagte.

Die Schuld der drei Hauptangeklagten am Mord sei zweifelsfrei erwiesen, stellten die Richter:innen im Hochsicherheitsgericht in Amsterdam fest. Sie hätten «keinerlei Respekt vor dem menschlichen Leben gezeigt», sagte der Vorsitzende Richter Gert Oldekamp und sprach von «ungeheurer Skrupellosigkeit und Gewissenslosigkeit».

Die Hauptverdächtigen sind der Schütze Delano G. (24) und der Fahrer des Fluchtautos, Kamil E. (38). Beide waren schnell nach der Tat festgenommen worden, und wurden nun zu 28 Jahren Gefängnis verurteilt. Der dritte Haupttäter Krystian M. (29) gilt als «Mordmakler», er wurde mit 26 Jahren Haft bestraft. Nur M. hatte eine Mitschuld zugegeben und sich bei den Angehörigen des Opfers entschuldigt.

Den Mann, der den Mord vorbereitet haben soll, wollte das Gericht eigentlich zu 30 Jahren verurteilen – der höchsten Strafe nach niederländischem Recht. Weil der Angeklagte derzeit aber eine schon vierjährige Haft absitzt, lautet das Urteil 26 Jahre. Als besonders schwerwiegend bewerteten die Amsterdamer Richter die Brutalität des Verbrechens. Die drei Haupttäter hätten eine „ungekannte Erbarmungslosigkeit und Gewissenlosigkeit gezeigt“, sagte der Richter in seiner Urteilsbegründung. „Sie haben durch ihr Handeln und die dabei demonstrierte Gnadenlosigkeit erkennen lassen, dass ihnen ein Menschenleben nichts wert ist.“

Der Angeklagte, der die Waffen besorgt haben soll, muss für 14 Jahre ins Gefängnis, zwei Mitwisser, die Videos am Tatort gedreht und veröffentlicht hatten, für jeweils zehn Jahre. Drei Verdächtige wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die Verurteilten können noch Berufung einlegen. Das erwägt auch die Staatsanwaltschaft. Sie hatte für die Hauptangeklagten lebenslange Haft gefordert und das auch damit begründet, dass es um eine terroristische Tat gehe. Doch dafür gab es nach Ansicht der Richter keine Beweise, dass «mit dem Mord der Bevölkerung große Angst eingejagt werden sollte.».

Tatsächlich war der Schock nach dem Mord groß, König Willem-Alexander hatte von einem Angriff auf den Rechtsstaat gesprochen. Premier Mark Rutte bezeichnete die Tat als einem «Anschlag auf den freien Journalismus».

Die Angeklagten hatten sich während des Prozesses auf ihr Schweigerecht berufen. Auch das wurde ihnen von den Richtern angelastet. Doch an ihrer Schuld konnte es keinen Zweifel geben: Die Beweislast war groß. Es gab dutzende Zeugen, Kamera-Bilder, Tonaufnahmen, im Fluchtauto wurde die Tatwaffe sichergestellt und die Ermittler hatten im Auto ein Handy mit belastenden Text-Nachrichten gefunden. So hatte Auftraggeber M. Fotos von de Vries geschickt: «Den Hund müsst Ihr haben.» Delano G. antwortete: «Ich finish das.» Kurz nach der Tat meldete G.: «Die Kugel ging quer durch seinen Kopf.» Auch aus den zynischen Kommentaren im Chatverlauf des Schützen ging für die Richter:innen hervor, dass er sogar Freude an dem Mord gehabt habe. Das „offensichtliche Vergnügen“, mit dem er bereit gewesen sei, de Vries zu erschießen, sei „bestürzend“. Er sei „nicht im geringsten davor zurückgeschreckt“, den bekannten Journalisten am helllichten Tag und in Anwesenheit unbeteiligter Passanten zu erschießen, so das Gericht.

Nur die Frage nach dem Motiv bleibt unbeantwortet. Für die Anklage war klar: Der Mord geht auf das Konto der Drogenbande des berüchtigten Kriminellen Ridouan Taghi. De Vries war Vertrauensperson des Kronzeugen, der im umfangreichen Strafprozess gegen Taghi und seine Komplizen ausgesagt hatte. Zuvor waren bereits der Bruder und der Verteidiger des Kronzeugen ermordet worden.

Die drei Morde zeigten vielen das Ausmaß des Drogen-Terrors in den Niederlanden, sie veränderten das Land. Seither stehen Anwälte und Reporter unter Personenschutz, zeitweilig wurde sogar Kronprinzessin Amalia bedroht, sie verließ das Land und studierte ein Jahr lang in Madrid. Prozesse werden so streng gesichert, wie man es sonst nur von Mafia-Prozessen in Italien kennt.

Taghi wurde im Februar zu lebenslanger Haft verurteilt, aber für andere Morde. Bisher gibt es keine Beweise, dass er auch für den Mord an dem Reporter verantwortlich ist, stellten die Richter fest. Vermutlich gebe es Auftraggeber, sagte Richter Oldekamp. «Doch die stehen nun nicht vor Gericht.» Die neun Angeklagten formen nach Auffassung des Gerichts auch keine kriminelle Vereinigung. Vielmehr handele es sich um eine lose Gruppe von Personen, die sich nur grob untereinander abgestimmt hätten, heißt es in der Urteilsbegründung.

Reporter ohne Grenzen schrieb  am 16.7.2021:  

„In den vergangenen Jahren wurden zunehmend Medienschaffende in den Niederlanden von Mitgliedern des organisierten Verbrechens bedroht. So wurde im Dezember 2020 eine scharfe Granate vor dem Haus eines Kriminalreporters der Zeitung DE LIMBURGER gefunden. Im Juni 2018 wurden die Redaktionen der Zeitungen DE TELEGRAAF sowie PANORAMA und NIEUWE REVU attackiert. In ersterem Fall wurde ein Lieferwagen in die Hausfassade gerammt, in letzterem eine Panzerabwehrrakete gegen das Gebäude abgefeuert … Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die Niederlande auf Platz 6 von 180 Staaten. Die Slowakei steht auf Platz 35, Italien auf Platz 41, Griechenland auf Platz 70, Malta auf Platz 81 und Bulgarien auf Platz 112…Drei weitere Morde in der EU in Verbindung mit organisierter Kriminalität: Die bis zum Anschlag auf de Vries letzte Tat war der Mord an dem griechischen Kriminalreporter Giorgos Karaivaz, der am 9. April (2021) am helllichten Tag in Athen niedergeschossen wurde. Trotz des Versprechens der griechischen Regierung, schnell zu handeln, sind die Ermittlungen bis heute nicht vorangekommen… Der mutmaßliche Auftraggeber des Mordes an dem slowakischen Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak im Februar 2018, der Geschäftsmann Marián Kočner, ist bis heute nicht verurteilt worden…. Auch im Fall der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia, die im Oktober 2017 mit einer Autobombe getötet wurde, ist der mutmaßliche Anstifter noch nicht verurteilt… Gerade im Süden der Europäischen Union sind Medienschaffende oft das Ziel des organisierten Verbrechens. Etwa 20 Journalistinnen und Journalisten stehen in Italien 24 Stunden am Tag unter Polizeischutz, was sie aber nicht vollständig vor Angriffen schützt….Auch in Bulgarien, das auf der Rangliste der Pressefreiheit den schlechtesten Rang aller EU-Länder einnimmt, leben Journalistinnen und Journalisten, die zu Korruption und organisierter Kriminalität recherchieren, gefährlich.“

Quelle:  Reporter ohne Grenzen, ZEIT online, TAZ, Tagesschau.de, Wikipedia, Frankfurter Rundschau (6.Juli 2022), dpa

Künstlerin: Christine Krahé