Mexiko – Estados Unidos Mexicanos – Vereinigte Mexikanische Staaten
Mexiko gehört weltweit zu den gefährlichsten Ländern für Medienschaffende: in keinem anderen Land, das sich nicht im Kriegszustand befindet, werden vergleichbar viele Journalisten ermordet. Berichte zu veröffentlichen, die sich z.B. mit Drogen- oder Menschenhandel oder mit Korruption beschäftigen, führen zu lebensgefährli- chen Bedrohungen, zum Verschwinden oder zum Mord. Reporter ohne Grenzen setzte im Jahr 2017 Mexiko in der Rangliste der Pressefreiheit auf den 147. Platz von insgesamt 180 Staaten.
Mexiko, ein Land mit 125 Mio. Einwohnern, mit Grenzen zu den USA im Norden, zu Guatemala und Belize im Südosten und Westen, ist seit 1917 eine präsidentielle Demokratie. Aus den letzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 1.7.2018 ging Andrés Manuel López Obrador als Sieger mit absoluter Mehrheit (53 % der Stimmen) hervor. Er gehört der von ihm selbst gegründeten und 2014 zugelassenen Linkspartei Morena (Movimiento Regeneracion National) an und bildete mit zwei anderen Parteien, u.a. der evangelikalen PES (Partido Encuentro Social) eine Koalition. In beiden Kammern des Nationalparlaments (Senat und Abgeordneten- haus) sowie in 19 der 27 neu gewählten Parlamente der Bundesstaaten errang die Koalition unter Führung der Morena-Partei die absolute Mehrheit (1).
Der Wahlkampf verlief äußerst blutig: zwischen September 2017 und Juli 2018 wurden mehr als 120 Politiker ermordet, galten 30 000 Personen als vermisst. Fortwährend kam es zu Kämpfen zwischen rivalisierenden Drogenbanden.
Obradors wichtigstes Wahlversprechen lautete: “Kampf der Korruption!“ Seine Amtszeit als Chef der Bundesregierung wird 6 Jahre dauern. Seine Machtbefugnisse sind umfassend: Er kann den Notstand ausrufen, bestimmt die Richtlinien der Außenpolitik , ist Oberbefehlshaber des Militärs, kann Gesetze einbringen und hat ein Vetorecht gegenüber Gesetzesinitiativen von Seiten des Kongresses. Im Demo- kratieindex 2019 der britischen Zeitschrift „The Economist“ belegt Mexiko Platz 73 von 167 Ländern und gehört damit zu den „unvollständigen Demokratien“ (2).
Mexiko ist Gründungsmitglied der Vereinten Nationen, des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Organisation Amerikanischer Staaten, seit 1995 auch Mitglied der Welthandelsorganisation (3)
Die Bevölkerung Mexikos, überwiegend katholisch, besteht aus Mestizen (ca. 60 %), Nachkommen der europäischen Siedler:innen – meistens Spanier:innen (ca. 30 %) und 10% indigenen Völkern. Die Amtssprache ist spanisch. Seit 2003 sind 62 indigene Sprachen als Nationalsprachen anerkannt.
Die indigene Bevölkerung ist signifikanter Benachteiligung ausgesetzt: die Kindersterblichkeit ist höher, die Alphabetisierungsrate und der Lebensstandard sind deutlich niedriger im Vergleich zur übrigen Bevölkerung Mexikos (4)
Das Rechtssystem Mexikos ist von schwerwiegenden Defiziten gekennzeichnet: Die Rechtsordnung ist ein von der Elite eingeführtes System, das von der Bevölkerung nicht als gesellschaftliche Regelungsinstanz angenommen worden ist. Dementspre-chend gibt es schwere Verstöße gegen geltende Rechtsnormen und gegen die Achtung der Menschenrechte. Die Polizei ist überdies in den Drogenhandel involviert, akzeptiert persönliche Bereicherung und Gewaltanwendung jenseits geltender Rechtsvorschriften.
Korruption ist überall verbreitet, in der Polizei, in der Justiz, aber auch in Bezug auf Zuwendungen von Unternehmern an Geschäftsleute und ranghohe Politiker. Sie hat sich mittlerweile zu einem eigenständigen Geschäftszweig entwickelt: nach Angaben der Weltbank kostete die Korruption Mexiko im Jahre 2015 9 % des Bruttoinlands-produkts (BIP). Etwa 14 % des durchschnittlichen Haushaltseinkommens flossen im Jahre 2016 in Beamtenbestechung – in Familien mit Mindestlohn waren es sogar 33 %. Das erklärt u.a. den Wahlslogan Obradors und seinen hohen Wahlsieg (5).
Kriminalität ist in Mexiko extrem ausgeprägt. Allein im Jahr 2017 wurden 25 339 Menschen ermordet, etwa 30 000 wurden vermisst. Das Jahr 2019 war das mit den meisten Morden seit 20 Jahren: fast 100 Opfer pro Tag wurden verzeichnet (6). Die Rate sexueller Gewaltdelikte gegenüber Frauen außerhalb von Beziehungen war die höchste in der Welt (7). Angaben von Nichtregierungsorganisationen zufolge werden 90 % der Straftaten aus Angst vor dem Staatsapparat nicht angezeigt (8). Immer wieder werden Massengräber entdeckt: die Organisation der Mütter von Ver- schwundenen fand zwischen August 2016 und März 2017 rund 125 Massengräber mit mehr als 250 Leichen (9). Im Bundesstaat Jalisco wurden jüngst Überreste von mindestens 25 Menschen geborgen, insgesamt fand man dort im Jahr 2020 bisher (Stand April 2020) 115 Menschen in geheimen Gräbern. Die Gewalt vor Ort hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen: Ein Drogenkartell namens „Jalisco Nueva Generacion“ ist dort aktiv (10).
Drogenkriminalität / organisiertes Verbrechen ist ein massives und eskalierendes Problem: als Drogenkrieg werden bewaffnete Konflikte bezeichnet, die von Polizei- und Militäreinheiten gegen die im Drogenhandel tätigen Organisationen bzw. zwi- schen diesen Organisationen untereinander ausgetragen werden. Diese Drogenkar- telle benutzen Schusswaffen, Granatwerfer und Handgranaten.
Mexiko ist Transitland für den Drogenhandel von Süd- und Zentralamerika nach USA. Schätzungen zufolge wurden im Verlauf des mexikanischen Drogenkrieges mittlerweile 130 000 Menschen getötet und verschwanden 27 000 (11). In einigen Regionen ist Mexiko beherrscht vom organisierten Verbrechen: kriminelle Kartelle rivalisieren gegeneinander und haben den Staat als Ordnungsmacht verdrängt. Diese Kartelle beschränken sich inzwischen nicht mehr allein auf den Drogenhandel, sondern haben ihre Tätigkeit auf andere kriminelle Bereiche erweitert: auf Menschenhandel, Schutzgelderpressung, Waffenschmuggel und neuerdings Diebstahl und Schmuggel von Benzin. Dieses wird aus Pipelines des staatlichen Ölkonzerns Petroléos Mexicanos – Pemex- abgezapft. In Guanajuato, einem kleinen Bundesstaat im Zentrum Mexikos, wurden im Jahr 2019 fast 5000 Menschen ermordet: vor allem deshalb, weil dort die zweitgrößte von sechs Raffinerien in Mexiko steht, von der aus der gesamte Nordwesten des Landes mit Gas, Benzin und Diesel beliefert wird. Um die Vormacht rivalisieren hier ein externes Kartell namens „Cing“ und die ortsansässige Mafia, ein Kartell mit Namen „Sante-Rosa-de-Lima“.
Für Präsident Obrador ist dies alles eine schwere Niederlage, hatte er doch im Wahlkampf versprochen, die Gewalt im Staate einzudämmen. Er zog demgegenüber Teile des Militärs und der Bundespolizei von der Aufgabe, organisierte Verbrecherbanden zu bekämpfen, ab und setzte stärker auf präventive Maßnahmen: z.B.Teilamnestien und Stipendien für Jugendliche. Das dadurch entstehende Machtvakuum wussten die Mafiabanden allerdings rasch auszufüllen. Obrador rechtfertigte seine Strategie, indem er die „korrupten Vorgängerregierungen“ für die zunehmende Gewalt verantwortlich machte (12).
Ein weiteres massives Problem ist die Migration: tausende Migranten:innen aus Honduras, El Salvador und Guatemala, aus Kuba und Brasilien und auch aus Mexiko warten an der nördlichen Grenze Mexikos zu den USA auf Einlass: ihre Fluchtgründe heißen zumeist: Armut, Hunger und Gewalt. US-Präsident Trump hatte im Jahr 2018 mit Strafzöllen gedroht, falls Mexiko Migrant:innen auf dem Weg in die USA nicht zurückhalten würde. Er schickte Soldaten an die Grenze zu Mexiko, welche die Flüchtlinge u.a. mit Tränengasgranaten am Grenzübergang hinderten. Trump drohte mit dem Bau einer Grenzmauer, die von Mexiko bezahlt werden sollte. Mexiko schob daraufhin viele Flüchtlinge in ihre Heimatländer ab. Andere gingen „freiwillig“ zurück, suchten sich professionelle Schlepper oder es gelang ihnen, illegal über die Grenze in die USA zu kommen (13).
Inzwischen versucht Mexiko, die Migrant:innen bereits an der Südgrenze mit Hilfe der Nationalgarde gewaltsam, u.a. mit Tränengas abzufangen. Präsident Obradors Strategie ist zwiespältig, hatte er doch zugleich 4000 Arbeitsplätze für Migranten in Aussicht gestellt (14).
80 % der Exporte Mexikos gehen in die USA, der Anteil der Importe aus den USA belief sich 2017 auf 46 %. Daraus resultiert eine extreme wirtschaftliche Abhängigkeit des Landes von den USA. Die mexikanische Wirtschaft teilt sich auf in Landwirtschaft (knapp 4 % des Bruttosozialprodukts), Industrie (33 %) und Dienstleistungen (63 %). Mexiko ist der weltweit sechstgrößte Erdölproduzent mit 3,7 Mio.Barrel / Tag. Privatisierung ist eine um sich greifende Strategie: Eisenbahn, See- und Flughäfen wurden privatisiert, ebenso Banken. Die Liberalisierung des bisher staatlich organisierten Energiesektors ist im Gang, entsprechende Reformen in den Bereichen Telekommunikation und Petrochemie sind geplant.
Das Sozialprogramm, das Obrador nach seiner Wahl vorstellte, umfasste Sozialleistungen für Auszubildende und für Behinderte, Subventionen und Mikrokredite für Kleinbauern und Handwerker, Verdoppelung der Altersrenten, Sparsamkeit auf Seiten der öffentlichen Verwaltung und Kürzung der Bezüge – u.a. auch bei Obrador selbst -, bei gleichzeitiger Anhebung des Mindestlohnes um 16 %. Angesichts der Tatsache, dass knapp 45 % der Bevölkerung Mexikos unterhalb der Armutsgrenze leben und 60 % der Erwerbstätigen irregulärer Arbeit nachgehen, waren diese Maßnahmen dringend gewünscht, jedenfalls von diesem Teil der Bevölkerung. Obrador betonte, diese seine Strategie ziele nicht auf die mächtigen Drogenkartelle, sondern er beabsichtige, sich auf die sozialen Probleme im Land zu konzentrieren, da sie die Ursache der Kriminalität seien.
Obrador wollte einen starken Staat als wirtschaftlichen Akteur. Seine Absicht, eine 1500 km lange Eisenbahntrasse zu bauen, Mexiko in die Energieunabhängigkeit zu führen, das Gesundheitssystem umzustrukturieren und die damit verbundenen Maßnahmen wie z.B. Umsiedlungen, Entlassungen, Budgetkürzungen, trugen ihm viel Kritik und Ablehnung ein. Das galt vor allem für seine Stornierung des Bauprojekts „Neuer Internationaler Flughafen“: er selber hielt es für viel zu teuer und für ökologisch schädlich.
Obwohl Obrador zu Beginn seiner Amtszeit betont hatte, es werde keine Willkür, keine Beschlagnahmen, keine Enteignungen geben, haben die Sparmaßnahmen und andere Weichenstellungen dazu geführt, dass Unternehmen und Bürger fast 9 Mrd. $ ins Ausland transferierten. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 erlebte die Wirtschaft infolgedessen das schlechteste Halbjahr seit der Wirtschaftskrise von 2008 (15).
Sein Krieg gegen die Drogenkartelle blieb bisher ohne Erfolg: allein in der ersten Jahreshälfte 2019 stieg die Anzahl der Gewaltdelikte um 2,9 %.
Die Medien in Mexiko sind überwiegend privatisiert, es gibt keine freie Berichterstattung. Politische Eliten, staatliche Stellen, Länder und Gemeinden, Parteien, Organisationen und die Unternehmerschaft nehmen oder erkaufen sich Einfluss auf die inhaltliche Arbeit von Journalisten.
Demgegenüber gab und gibt es Journalist:innen, die weiterhin ihrer Überzeugung folgen: Sie decken Missstände im Staat auf oder machen die Verletzung von Menschenrechten öffentlich und prangern die Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze an. Mexiko gilt als das gefährlichste Land für Journalisten außerhalb von Kriegsgebieten. Journalisten/innen, die über Drogenhandel, Korruption und die Vernetzung von Politik und organisiertem Verbrechen berichten, arbeiten unter akuter und ständiger Lebensgefahr: seit 2003 sind 24 von ihnen verschwunden, zwischen 2000 und 2017 wurden insgesamt 107 Journalisten ermordet. Allein im Jahr 2016 wurden 426 Angriffe gegen Medien und ihre Mitarbeiter registriert, darunter 11 Morde. (16). Im Jahr 2017 wurden mindestens 12 Journalisten ermordet: ein jährlicher Höchststand seit dem Jahr 2000 (17). Seit Januar 2020 sind bereits 4 Medienschaffende in Mexiko ermordet worden: Am 1. 4. 2020 berichtete die Frankfurter Rundschau vom Mord an der Journalistin Maria Elena Farrel, die während einer Recherche von zwei Männern erschossen wurde (18). Am 2. Mai 2020 wurde der Journalist Telésforo Santiago Enriquez, Gründer des kommunalen Radiosenders EL CAFETAL, der sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung eingesetzt, mehrfach über Korruption in den Behörden berichtet und deshalb Morddrohungen erhalten hatte, ebenfalls erschossen. (19). Die Staatsanwaltschaft ging im Rahmen ihrer Strafverfolgung auf die Inhalte der jeweiligen journalistischen Recherchen nicht ein. Im Jahr 2017 wurde schließlich bekannt, dass verschiedene untereinander vernetzte Personen das Internet dazu benutzten, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger im ganzen Land zu überwachen, zu bedrohen und zu schikanieren. Auf staatlichen Schutz hoffen diese vergeblich. (20)
Reporter ohne Grenzen setzte Mexiko deshalb in der Rangliste der Pressefreiheit im Jahr 2017 auf den 147. Platz von insgesamt 180 Staaten.
Covid 19 in Mexiko
Lopez Obrador hält aus Anlass der Corona-Pandemie derzeit täglich Pressekonferenzen ab, in denen er betont, dass man seit Monaten auf das Coronavirus vorbereitet sei und dass es keinen Grund zur Panik gebe. Pressemeldungen bzw. Fotoaufnahmen in der Presseberichterstattung, auf denen es Bestatter in Schutzkleidung zu sehen gibt, die Leichen in ein Krematorium tragen, sind ihm Anlass für höchst aggressive Vorwürfe: Die Mehrheit der Journalisten sei verrottet, einen unabhängigen, professionellen Journalismus gebe es nicht. Er zählt namentlich auf, welche Presseleute unter diese Kategorie fielen und nichts taugten und welche demgegenüber etwas taugten. Seine Beschimpfungen treffen Wirtschaftsjournalisten:innen, die Unternehmen nahestehen ebenso wie linke Reporter:innen, die ihn kritisieren, z.B. weil seine Großprojekte auf Kosten der indigenen Bevölkerung realisiert würden. Zugleich versicherte der Präsident, er zensiere nicht !
Der Corona-Beauftragte der Regierung, Lopez-Gatell spricht dagegen in einer täglichen Sondersendung in anderer Weise über die Bewältigung der Corona Pandemie: besonnen, eloquent und Vertrauen erweckend, erklärt er den Sinn des zuhause Bleibens und die Regeln, nach denen angesichts mangelhafter medizini- scher Versorgung infizierte Menschen an Beatmungsgeräte angeschlossen werden. Und er erläutert die jeweils aktuellen Zahlen der Gestorbenen (21)) – eine Vorge- hensweise, die eigentlich dem Präsidenten gut zu Gesicht stünde.
(Stand 6 / 2020)
Anmerkungen:
- Le Monde diplomatique 1 / 2020,S. 15
- https://de.wikipedia.org/wiki/Me:
- ebenda
- ebenda
- Le monde diplomatique 6 / 2018, S. 17
- Frankfurter Rundschau 28. 1. 2020
- https://de.wikipedia.org/wiki/Me:
- Fischer Welt Almanach 2019, Frankfurt 2018, S. 320
- Fischer Welt Almanach 2018, Frankfurt 2017, S. 310
- Frankfurter Rundschau 12. 5. 2020
- Le monde diplomatique 5 / 2019, S. 13
- Frankfurter Rundschau 28. 1. 2020
- Le monde diplomatique 1 / 2019, S. 11; die tageszeitung 16. 1. 2020
- Frankfurter Rundschau 22. 1. 2020
- Le monde diplomatique 2020, S. 15
- Fischer Weltalmanach 2018, S. 311; Fischer Weltalmanach 2019, S. 320
- amnesty international report 2017/18, S. 333
- Frankfurter Rundschau 1.4. 2020
- Le monde diplomatique 5 / 2020, S. 23
- amnesty international report 2017/18, S. 333
- die tageszeitung 5. 5. 2020
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