Alsu Kurmaschewa, * 1977 Russland, 2023 festgenommen, zu 6 1/2 Jahren Strafkolonie verurteilt, inzwischen frei
Die Journalistin und Buchautorin Alsu Kurmaschewa ist Staatsbürgerin von Russland und den USA. Sie lebt 2023 mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Tschechiens Hauptstadt Prag. Sie arbeitet für den tatarisch-baschkirischen Dienst von RADIO FREE EUROPE / RADIO LIBERTY, einem von den USA finanzierten Sender.
Sie befasst sich seit vielen Jahren mit den Problemen nationaler Minderheiten in Tatarstan und der russischen Republik Baschkortostan. Sie berichtete insbesondere über Bürgerinitiativen, die für das Überleben der tatarischen Kultur und Sprache kämpfen. Die Bevölkerungsgruppe aus der Wolgaregion steht seit mehreren Jahren unter zunehmenden Druck der russischen Behörden.
Nach Angaben ihres Senders reiste Alsu Kurmaschewa im Mai 2023 wegen eines „familiären Notfalls“ nach Russland. Als die Journalistin das Land Anfang Juni wieder verlassen wollte, wurde sie beim Warten auf ihren Rückflug nach Tschechien vorübergehend festgenommen. Ihr russischer und ihr amerikanischer Pass wurden beschlagnahmt. Die Medienschaffende wurde mit einer Geldstrafe belegt, weil sie den Behörden nicht ihre US-Staatsangehörigkeit angezeigt haben soll.
Ohne ihre Pässe konnte sie Russland nicht mehr verlassen.
Am 18. Oktober 2023 wurde die Journalistin erneut in Kasan, der Hauptstadt der autonomen russischen Teilrepublik Tatarstan, rund 700 Kilometer östlich von Moskau festgenommen. Der Vorwurf diesmal: Sie habe Informationen über russische Militäraktivitäten zur „Weitergabe an ausländische Quellen“ gesammelt und es versäumt, sich als „ausländische Agentin“ registrieren zu lassen. Russischen Angaben zufolge ging es um die Mobilisierung von Lehrkräften einer tatarischen Hochschule.
Der Journalistin wurde neun Monate lang eine angemessene medizinische Versorgung sowie der Kontakt zu ihrer Familie verweigert. Am 19.Juli 2024 wurde sie in einer nicht-öffentlichen Sitzung zu sechseinhalb Jahren Strafkolonie wegen angeblicher Falschmeldungen über die Armee verurteilt.
Anlass für das Urteil war ein von ihr im November 2022 veröffentlichtes Buch mit dem Titel „Nein zum Krieg. 40 Geschichten von Russen, die sich gegen die Invasion der Ukraine wehren“, wie die russische Oppositionsplattform MEDUZA mitteilte.
Am 1.August 2024 kam die 47-Jährige im Rahmen eines Gefangenenaustauschs frei. Reporter ohne Grenzen schreibt dazu: „Anfang dieser Woche waren Evan Gershkovich und Alsu Kurmasheva plötzlich verschwunden. Dann tauchten Gerüchte über einen möglichen Gefangenenaustausch auf. Wie wir uns die Köpfe zerbrachen! Dann am Donnerstagabend die erlösende Nachricht: Der Korrespondent des WALL STREET JOURNALS und die Journalistin von RADIO FREE EUROPE / RADIO LIBERTY (RFE/ RL) sind frei! Beide wurden im Zuge des größten Gefangenenaustausches zwischen Russland und dem Westen seit dem Ende des Kalten Krieges freigelassen. Wir sind sehr erleichtert und freuen uns für die Angehörigen! Die Medienschaffenden mussten Unglaubliches durchmachen. (…) Doch in die Freude über die Freilassung mischt sich ein bitterer Beigeschmack: Hier wurden zu Unrecht verurteilte Journalisten, Oppositionspolitikerinnen und Menschenrechtsverteidiger gegen Kriminelle ausgetauscht. Unter Vermittlung eines Präsidenten, der selbst die Pressefreiheit mit Füßen tritt. Zudem sitzen weiterhin 40 russische Medienschaffende hinter Gittern.“
Der US-finanzierte Radiosender RADIO FREE EUROPE /RADIO LIBERTY wurde 2017 als eines der ersten Medien in Russland als „ausländischer Agent“ eingestuft. Der russische Staat stigmatisiert mit dieser Kennzeichnung unabhängige Redaktionen und Medienschaffende. Entsprechend Eingestufte sind verpflichtet, regelmäßig ihre Finanzquellen und Ausgaben offenzulegen. Außerdem müssen sie im Internet und in sämtlichen Veröffentlichungen in Großbuchstaben auf ihren Status hinweisen. Gegenwärtig sind insgesamt 244 Medienschaffende und Medien in Russland als „ausländische Agenten“ gelistet. Alsu Kurmaschewa befand sich als Person bisher nicht auf dieser Liste.
Zurecht befürchtete Reporter ohne Grenzen schon 2023, dass Moskau unter fadenscheinigen Gründen festgenommene Journalistinnen und Journalisten wie Alsu Kurmaschewa und Evan Gershkovich als Druckmittel einsetzen könnte.
In der Rangliste der Pressefreiheit von 2024 belegt Russland Platz 162 von 180 Staaten.
Stand der Recherche: August 2024
Quellen: Reporter ohne Grenzen, amnesty international
Künstlerin: Susanne Köhler
Sie müssen angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.