Veby Mega Indah, *1980 Indonesien, 2019 in Hongkong durch Polizeigewalt teilweise erblindet
Veby Mega Indah kam 2012 aus Indonesien nach Hongkong und lebt seitdem dort. Sie arbeitete hauptberuflich für SUARA HONG KONG NEWS, ein indonesisches Medienunternehmen. Es richtet sich an Tausende Indonesier, die in Hongkong arbeiten, sowie deren Freunde und Familien in der Heimat und in der ganzen Welt. Viele indonesische Wanderarbeiter:innen können zwar Kantonesisch sprechen, aber weder Chinesisch noch Englisch lesen.
Als die regierungskritischen Proteste 2019 begannen, wurde die Zeitung mit Fragen von verwirrten und verängstigten Leser:innen überschwemmt. Indah begann, von den Protesten zu berichten und per Livestream zu zeigen, was wo passierte. Sie schrieb Erklärungen, warum die Menschen demonstrierten, und interviewte Demonstrierende, Anwohner:innen und die Gesetzgeber. Hauptgrund für die Proteste war die Forderung nach Demokratie.
Am 29. September 2019 gehörte Indah zu einer Gruppe von Reporter:innen, die über Zusammenstößen zwischen bewaffneter Polizei und Regierungsgegner:innen berichteten. Die Proteste hatten in den letzten sechs Monaten fast täglich stattgefunden.
Die Journalist:innen, darunter auch Indah, standen getrennt von den Demonstrierenden auf einer Fußgängerbrücke im Hongkonger Stadtteil Wan Chai. Sie trugen leuchtend gelbe Westen, um identifizierbar zu sein sowie Helme mit Aufklebern und Presseausweise an Umhängebändern um den Hals.
Die Demonstrierenden, die unter Regenschirmen kauerten, bewegten sich auf die schießende Polizei zu und zogen sich über eine Treppe auf die Straße zurück.
„Damals habe ich live gestreamt. An einem Punkt tauchten einige Demonstranten auf… die Polizei zielte auf sie und schoss. Ich hörte jemanden, einen Journalistenkollegen hinter mir, der schrie: ‚Nicht schießen! Nicht schießen! Wir sind alle Journalisten“, sagte Indah.
„Eine Sekunde später hörte ich den Knall und sah etwas Rauch von der Treppe, dann traf das Projektil mein rechtes Auge“, sagte sie.
Sie spürte einen stechenden Schmerz hinter ihrer Brille und brach zusammen, aufgefangen von einem Journalisten hinter ihr, bevor sie auf dem Boden aufschlug, wo sie blutend liegen blieb und sich wiederholte: „Mein rechtes Auge, mein rechtes Auge.“
„Sie umarmte mich und wir fielen gemeinsam zu Boden“, sagte die 39-Jährige dem Mandarin-Dienst von VOA (VOICE OF AMERICA). „Dank ihr habe ich keine Hirnverletzung oder ähnliches erlitten. … Wir stürzten direkt auf den harten Boden und sie umarmte mich weiter. Ich konnte meine Augen nicht mehr öffnen. Ich konnte mein Gesicht nicht mehr spüren.“
„Ich hatte das Gefühl, dass ich es nicht mehr ertragen konnte. Ich dachte, das wird mein Ende sein“, sagte sie gegenüber der Nachrichtenagentur REUTERS.
Später erfuhr sie, dass das Projektil dieses Auge getroffen hatte, so dass der Augapfel riss und sie für den Rest ihres Lebens teilweise blind blieb.
Die Polizei erklärte, sie habe auf die Demonstrierenden reagiert, die Gegenstände von der Brücke geworfen hätten.
Zwei Monate nach ihrer schweren Verletzung sagte die Journalistin, sie wolle weiterhin in Hongkong arbeiten und leben.
„Ich will immer noch Journalistin sein, ich will immer noch meinen Job machen. Ich weiß immer noch nicht, wie weit ich das tun kann. Das ist eine Frage, die mich nachts wach hält“, sagte sie.
Indah gehört der christlichen Minderheit Indonesiens an und ist zum Teil auf die Unterstützung ihrer Kirche angewiesen.
Sie hat einen Anwalt, der ihren Fall gegen die Hongkonger Polizei verfolgt, bisher jedoch ohne Ergebnis. Sie erstattete Anzeige und verlangte die Herausgabe des Namens desjenigen Beamten, der das Gummigeschoss abgefeuert hat. Denn sie wollte ihn individuell verklagen.
„Und bis jetzt sehe ich keine ordentliche Untersuchung, obwohl ich bereits eine Beschwerde eingereicht habe“, sagte sie.
„Gerechtigkeit ist in meinem Fall so wichtig, weil es in diesem Fall nicht nur um mich geht, sondern auch um Gerechtigkeit für alle verletzten Menschen in Hongkong“, sagte sie.
Bei einem Briefing am 29. November 2019 bestritt der Polizeisprecher, dass die Polizei Indahs Fall verschleppen würde.
Kritiker sagen, dass die einst weithin respektierte Polizei zunehmend brutale Taktiken anwendet und praktisch ungestraft bleibt. Sie haben eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der Vorwürfe gefordert. Die örtliche Abgeordnete Claudia Mo brachte Indahs Fall in einer Anfrage an Hongkongs Sicherheitsminister John Lee zur Sprache.
„Personen am Ort des Geschehens (einschließlich Medienschaffende) sollten die Anweisungen der Polizeibeamten beachten und befolgen und einen angemessenen Abstand einhalten“, so Minister Lee in seiner schriftlichen Antwort. „Dies wird eine Behinderung der polizeilichen Durchsetzungsmaßnahmen verhindern und auch Personenschäden vermeiden“.
Privatklagen haben eine Frist von sechs Monaten. Indahs Fall hat sich auch durch ihren Antrag auf Prozesskostenhilfe verzögert, der nach Angaben ihres Anwalts seit mehr als zwei Monaten bearbeitet wird.
„Die Uhr tickt für mich, damit ich zu meinem Recht komme“, sagte sie. Sie hofft, dass die Polizei zur Rechenschaft gezogen wird, die ihrer Meinung nach ihre Taktik in den letzten zwei Monaten drastisch verschärft hat.
„Ich hoffe, dass ich Gerechtigkeit erhalte und dass das System endlich reformiert wird, damit sich Fälle wie meiner nicht wiederholen“, sagte sie. „Sie können nicht auf Menschen schießen, weil sie in Panik sind oder weil sie wütend sind. Damit sie begreifen, dass sie nicht über dem Gesetz stehen“.
Die Polizei in Hongkong erklärte, sie untersuche den Vorfall. Indahs Anwalt berichtete jedoch, dass keine weiteren Zeugen am Tatort befragt worden seien und die Polizei ihm trotz Anfragen keine Einzelheiten über den Stand der Ermittlungen mitgeteilt habe.
„Was die Polizei tut, ist, die Zeit runterlaufen zu lassen“, sagte Indahs in Hongkong ansässiger britischer Menschenrechtsanwalt Michael Vidler.
auf eine Anfrage von REUTERS reagierte die Polizei von Hongkong nicht. Die „Hong Kong Journalists Association“ hat mehr als 50 Fälle von Journalist:innen dokumentiert, die persönlich über Einschüchterungen durch die Polizei berichteten. Die Fälle reichen von Polizeischeinwerfern, die Reporter:innen oder ihre Kameras anstrahlen, damit sie nicht filmen können, bis hin zu Pfefferspray und Tränengas, auch wenn sie sich nicht in der Nähe von Demonstrierenden aufhielten.
„Sind das alles Unfälle? Sind das alles Zufälle?“, sagte Indrah. „Geht es darum, dass Journalisten sich selbst in Gefahr bringen? Es liegt nicht an mir oder an der mangelnden Ausbildung eines einzelnen Journalisten. Es geht darum, dass die Polizei Journalisten ins Visier nimmt.“
Indah ist sich nicht sicher, ob sie jemals wieder an die Front zurückkehren kann. Da sie sich nur auf ihr linkes Auge verlassen kann, ist ihre räumliche Wahrnehmung stark beeinträchtigt. Sie ist zwar in der Lage, über die Geschehnisse zu sprechen, aber sie kann es nicht ertragen, auf die Fußgängerbrücke zu gehen, auf der sie verletzt wurde. Sie ist sich jedoch sicher, dass sie ihren Fall vorantreiben wird. In den Tagen, nachdem sie angeschossen wurde, rieten ihr Freunde und Familie, sich auf ihre Genesung zu konzentrieren. Ein Freund ermahnte sie: „Du solltest lieber ruhig bleiben. Das ist eine große Sache. Du bist vielleicht nicht in der Lage, das zu verarbeiten.“
Als sie in ihrem Krankenhausbett lag, dachte Indah an andere Menschen, die bei den Protesten verletzt wurden, sich aber nicht trauten, sich zu äußern. Denn sie riskierten, wegen illegaler Versammlung oder anderer Anschuldigungen verfolgt zu werden.
„Hier geht es nicht nur um mich, nicht nur um Journalisten, sondern um die Menschen in Hongkong. Denn das, was mir passiert ist, wird sich wiederholen, wenn es keine Konsequenzen für die Polizei gibt, wenn das System nicht reformiert wird“, sagte sie. „Deshalb habe ich mich entschieden, weiterzumachen, denn Gott weiß, es wäre einfacher für mich, wenn ich aufgeben würde.“
Als die Nachricht von ihrer Verletzung die Aufmerksamkeit der internationalen Medien erregte, wurde ihr klar, dass sie im Gegensatz zu den Hunderten oder gar Tausenden von Menschen, die bei den Protesten verletzt wurden, in der Lage war, die Polizei zu kritisieren, ohne ihre eigene Verhaftung zu riskieren.
„In Hongkong wurden viele Menschen verletzt, die nicht das tun konnten, was ich getan habe, denn wenn sie es tun, können sie angeklagt werden“, sagte Indah. „Also ist dieser [Aktivismus] nicht nur für mich.“ „Gott hat mir die Möglichkeit gegeben, Gerechtigkeit zu suchen“, fügte sie hinzu. „Wenn ich das nicht tue, kann ich mir selbst nicht ins Gesicht sehen.“
Obwohl Indah immer noch Schmerzen hat, hat sie sich an das Leben mit einem Auge gewöhnt, obwohl sie immer noch von dem Erlebnis verfolgt wird.
Quellen: www.ndtv.com, www.aljazeera.com, www.theguardian.com, www.voanews.com
Text: Gerhard Keller, Mai 2025
Künstlerin: Maria von Stülpnagel
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