Irina Slawina, * 1973 Russland, 2020 in den Tod getrieben

Irina Slawina, * 1973 Russland, 2020 in den Tod getrieben

Irina Slawina war eine russische Journalistin aus in der östlich von Moskau liegenden Großstadt Nischni Nowgorod (zu Sowjetzeiten: Gorki). Die als Irina Wjatscheslawowna Kolebanowa geborene, nach ihrer Heirat Murachtajewa heißende Philologin arbeitete zunächst als Lehrerin für russische Sprache und Literatur, dann als Journalistin mit dem Pseudonym „Slawina“ für regionale Medien. In den letzten zehn Jahren wurden die Arbeitsmöglichkeiten für sie immer schwieriger. 2015 musste Slawina die lokale Nachrichtenagentur NEWS-NN aufgrund von Zensur verlassen und verlor damit zum dritten Mal ihren Job. Da sie sich keine Chance auf eine anderweitige Anstellung im Medienbereich ausrechnete, gründete sie ihr eigenes kleines Medienunternehmen KOZAPRESS („Ziegen-Presse“). Sie war Herausgeberin, Redakteurin und Korrespondentin zugleich. KOZAPRESS finanzierte sich aus Spenden und gehörte schnell zu den beliebtesten Medien in der Region. 

Mit investigativer Berichterstattung über korrupte Beamte und Geschäftsleute und über die Verfolgung der Opposition machte sie sich Feinde unter den Mächtigen. Sie wurde daraufhin mit Klagen und Strafverfahren überzogen und zunehmend mit Bußgeldern bestraft.  So über 70.000 Rubel (760 Euro) wegen „Missachtung der Behörden“ durch einen FACEBOOK-Artikel über eine neue Stalin-Gedenktafel. 65.000 Rubel mußte sie zahlen wegen Verbreitung angeblich falscher Informationen über Coronavirus-Fälle in einer Nachbarstadt (obwohl die Behörden die Fälle bestätigt hatten) und 20.000 Rubel wegen Organisation eines Gedenkmarsches für den ermordeten liberalen Politiker Boris Nemzow. Darüberhinaus wurde sie drangsaliert, indem Unbekannte z.B. am Eingang ihres Hauses beleidigende Flugblätter anbrachten und die Reifen ihres Autos aufschlitzten. Nach Meinung eines lokalen Menschenrechtsaktivisten wurde ihr das Leben in den letzten Jahren immer mehr zur Hölle gemacht. Am schlimmsten empfand Slawina das Schweigen der meisten Menschen, die es nicht mehr wagten, gegen Ungerechtigkeit aufzubegehren.

Am 1. Oktober 2020 um 6 Uhr morgens brachen 12 Beamte der Staatssicherheit ihre Wohnungstür auf, drangen in die Wohnung der Familie ein und beschlagnahmten sämtliche Laptops, Datenspeicher und Telefone, auch die ihres Ehemanns und ihrer Tochter. Slawina wurde nicht erlaubt, ihren Anwalt anzurufen. Die Durchsuchung stand angeblich im Zusammenhang mit einer landesweiten Razzia gegen Unterstützer der Organisation „Offenes Russland“ des exilierten Geschäftsmanns und Putin-Gegners Michail Chodorkowski. Die Organisation verneinte allerdings, dass die Journalistin bei ihr Mitglied gewesen sei.

Am nächsten Tag zündete sich Irina Slawina vor dem Polizeihauptquartier von Nischni Nowgorod selbst an. Wenige Minuten vorher hatte sie über FACEBOOK die Nachricht verbreitet: „Macht die Russische Föderation für meinen Tod verantwortlich.“ Slawina starb noch an Ort und Stelle. Sie wurde 47 Jahre alt.

Russland steht auf Platz 150 von 180 im Weltindex der Pressefreiheit 2021 von Reporter ohne Grenzen. Eine freie Presse gibt es nicht mehr. Nachdem das Putin-Regime zunächst alle Fernsehsender und Printmedien unter staatliche Kontrolle oder in den Besitz von regierungsfreundlichen Geschäftsleuten gebracht hatte, ist mittlerweile auch die Zensur über das Internet massiv verschärft worden. Webseiten können ohne Gerichtsbeschluss gesperrt werden. Für kritische Kommentare droht aufgrund vage formulierter Anti-Extremismus-Gesetze jahrelange Haft. Mit dem Überwachungssystem SORM kann der Kreml die Kommunikation der Bevölkerung in großem Stil überwachen. Journalist:innen, die Geld aus dem Ausland erhalten, gelten als „ausländische Agenten“. Gewalt gegen Medienschaffende wird selten bestraft.

Quellen: Deutsche Welle, BBC, Wikipedia, Reporter ohne Grenzen. 

Künstler:   Thomas Ormond