Die Republik Tschad
ist ein Binnenstaat in Zentralafrika. Sie hat Grenzen zu Libyen im Norden, zum Sudan im Osten, zur Zentralafrikanischen Republik im Süden und im Westen zu Niger, Nigeria und Kamerun.
Land und Leute
Im Norden besteht das Land –als Teil der Sahara– aus Stein-, Fels- und Sandwüste mit einer Niederschlagsmenge von 25 bis 100 mm / Jahr.
Im Gebirge des Tibesti, ebenfalls im Norden des Tschad und inmitten dieser Wüste gelegen, fallen dagegen Niederschläge zwischen 100 und 600 mm im Jahr und es existieren dort viele verschiedene Pflanzen- und Tierarten. Die Sahara Wüsten-Region insgesamt umfasst mehr als 50% der Landesfläche des Tschad und ist kaum besiedelt: es finden sich dort nur wenige Oasen.
Den Süden kennzeichnen drei weitere biogeographische Zonen: die Savannen rund um den Tschadsee im Südwesten, die semitrockene Sahelzone südlich des Saharagebietes und die Feuchtsavanne des Sudan ganz im Süden. Hier herrscht ein fast tropisches, wechselfeuchtes Klima mit Niederschlägen bis zu 1100 mm / Jahr. Es gibt eine artenreiche Flora und Fauna und mehrere, teilweise große Naturschutzgebiete. Hier wird Landwirtschaft betrieben( 1, S. 3 – 5; 4, S. 3).
Der Tschadsee
ist ein abflussloses Gewässer im Südwesten des Landes. Er ist aufgeteilt zwischen Tschad, Kamerun, Niger und Nigeria. Die Geschichte des Sees ist – so wie das ganze Land- verbunden mit den klimatischen Veränderungen in dieser Region: In der Zeit von ca. 6000 bis 4000 v.u.Z. hatte der See eine Ausdehnung von etwa 360 000 km². Vor 1000 Jahren betrug seine Wasserfläche noch ca. 36 000 km². Bis zum Jahr 1908 schließlich trocknete der See bis auf einige Feuchtgebiete aus und regenerierte sich bis 1963 wieder zu einer Größe von maximal 25 000km². Ab Anfang der 70er Jahre schrumpfte der See als Folge von Trockenzeiten, Wüstenbildung, Bau von Staudämmen und übermäßiger Wassernutzung wiederum bis auf ca. 4000 km² im Jahr 2001 und hatte 2013 gerade noch eine Ausdehnung von 2500 km². Die nunmehr verbliebene Wasserfläche liegt auf tschadischem und kamerunischem Gebiet (39, S. 1, 3 f., 7; 2, S. 1-3).
Die verringerten Wasserressourcen verschärfen die bereits vorhandenen Problemlagen Armut, Hunger, Bevölkerungswachstum, Unterentwicklung, Unsicherheit für die in der Tschadsee – Region lebende Bevölkerung. In den letzten Jahren hat sich die islamistische Gruppe Boko Haram in dieser Region zunehmend, vor allem unter jungen Menschen, ausbreiten und stärker werden können – Folge von sich verknappenden Ressourcen, Arbeitslosigkeit und fehlenden Perspektiven (5, S. 2).
Die Anrainerstaaten des Tschadsees–Niger, Nigeria, Kamerun und Tschad–trafen im Januar 2023 zum zweiten Mal zu einer Internationalen Tschadsee-Konferenz, dieses Mal in Niamey/Niger, zusammen, um mit Vertretern der UN, Deutschlands und Norwegens zu beraten, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, damit diese Region, in der etwa 35 Mio. Menschen leben, stabiler würde. Es ging dabei um Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Stabilisierung, z.B. Wiederaufbau von durch Boko Haram zerstörten Dörfern, Wiedereingliederung ehemaliger Boko-Haram Kämpfer, Versöhnungsarbeit in der Region (23, S. 1, 6; 7, S. 1 f.; 2, S.3), vor allem Versöhnung zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern.
N’Djamena im Südwesten des Landes
an der Grenze zu Kamerun ist die Hauptstadt des Tschad. Während auf Grundlage einer Zählung im Jahr 2009 deren Einwohnerzahl noch mit knapp 952 000 beziffert wurde, wurde sie im Jahr 2012 bereits auf 1,5 Mio. bemessen. Für das Jahr 2035 wird mit einer Bevölkerung von 2,6 Mio. gerechnet (1, S. 7; 3). N’Djamena ist Sitz der Nationalversammlung, aller wichtigen Regierungsstellen und Botschaften, des Obersten Gerichtshofes, der Universität und kultureller Einrichtungen (1, S. 7; 4, S. 1 f.).
Die Einwohnerzahl des Tschad insgesamt belief sich im Jahr 2009 auf 11 Mio. Personen (1, S. 7). Für das Jahr 2018 wird die Einwohnerzahl mit 14,9 Mio. (6, S. 469), für das Jahr 2023 mit 18,5 Mio. Personen angegeben. Laut UN wird ein weiterer Anstieg der Bevölkerung bis 2050 auf etwa 34 Mio. Personen prognostiziert (1, S. 7).
Im Jahr 2023 lebten laut der UN-Flüchtlingshilfe im Tschad etwa 380 000 Binnenvertriebene sowie 583 000 Flüchtlinge. Die meisten von ihnen kommen aus dem Sudan bzw. dem sudanischen Darfur, die anderen aus der Zentralafrikanischen Republik und aus Nigeria. Rund um den Tschadsee leben rund 20 000 Flüchtlinge aus dem Niger (8, S. 1). In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Abgeordneten des Deutschen Bundestages finden sich für das Jahr 2019 noch weitaus dramatischere Zahlen, nämlich 750 000 Flüchtlinge, die vor Boko Haram aus dem Nordosten Nigerias in den Tschad und in den Niger geflohen sind – 2,6 Mio. Menschen, die von derselben islamistischen Gruppe aus der Tschadseeregion vertrieben wurden und 14 Mio., die dort auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (23, S. 1).
Der Norden des Tschad ist überwiegend arabisiert, im Süden des Landes leben christlich geprägte Schwarzafrikaner*innen: 58 % der Bevölkerung sind Muslime, ca. 35 % Christen*innen beiderlei Konfessionen; die übrigen sind Anhänger*innen indigener Religionen (6, S. 469; 1, S. 7 f.). Zwischen den muslimischen und christlichen Bevölkerungsteilen gibt es seit Jahren immer wieder Konflikte bis hin zu Bürgerkriegen (s.u.) (4, S. 1).
Im dünn besiedelten Norden leben Nomaden und Halbnomaden (u.a. Tubu), im Süden leben die Sara, die mit ca. 2,8 Mio. Angehörigen die größte Bevölkerungsgruppe im Tschad sind. Sie haben eine eigene Sprache (1, S. 8). Insgesamt leben im Tschad ca. 200 verschiedene Ethnien. Die meisten von ihnen sprechen eigene Sprachen oder Dialekte. Besondere Bedeutung hat das Arabische, das von einem Viertel der Bevölkerung als Mutter- oder Zweitsprache gesprochen wird. Es hat den Status einer offiziellen Amtssprache, ebenso wie das Französische, das aber nur von einer gebildeten Minderheit gesprochen wird (1, S. 8; 4, S. 2).
Von der Kolonie zur Republik
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann Frankreich, Provinzen des Tschad militärisch zu besetzen und zu kolonialisieren, bis die Kolonie Tschad zwischen den beiden Weltkriegen ihre heutigen Grenzen erhielt. 1960 wurde das Land unabhängig. Erster Präsident wurde Francois Tombalbaye (1, S. 11).
Zwischen dem Norden und dem Süden des Tschad bestehen relevante Gegensätze. Die arabisierten und islamisierten Völker im Norden hatten vor der Kolonialisierung das Sagen im Land. Im Laufe der Kolonialisierung entwickelte sich – gefördert durch Frankreich- eine teilweise christliche Elite im Süden, die von nun ab die Verwaltung des Landes kontrollierte (10, S. 153). Ihr entstammte auch der erste Präsident Tombalbaye. Der Norden wollte diese Kräfteverschiebung nicht hinnehmen. Nach Gründung der muslimischen FROLINAT (Front national delibération du Tchad) im Jahr 1966, die sich gegen die christlich-schwarzafrikanische Dominanz richtete, begann ein Bürgerkrieg, der bis zum Jahr 1994 dauerte (1, S. 8 f., 11).
Die „Zweite Republik“
Tombalbaye wurde gestürzt und Hissène Habré wurde unter dem seit 1975 regierenden Präsidenten Félix Malloum für kurze Zeit Premierminister (1978). Nach verschiedenen Seitenwechseln, an denen Al-Gadaffi (Libyen) und andere beteiligt waren, eroberte Habré die Hauptstadt N’Djamena. Dies war der Beginn der sogenannten „Zweiten Republik“. Habré ernannte sich zu deren Präsidenten. Er amtierte von 1982 bis 1990 (9, S. 2).
Habré entstammte einem der beiden Zweige der Ethnie der Tubu. Er arbeitete zunächst in der französischen Kolonialverwaltung des Tschad, studierte Politikwissenschaften in Paris und kehrte nach seinem Examen im Jahr 1971 in den Tschad zurück.
Die Regierungszeit Habrés war durch schwere Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet: Gegner wurden mit Folter und Hinrichtungen verfolgt, etwa 40 000 Menschen ließ Habré ermorden. Er ließ etwa 200 000 Menschen foltern und inhaftieren, übergab gefangene Frauen seinen Soldaten als Sexualobjekte und ließ Dörfer niederbrennen.
Politisch hatte er dennoch -als Gegner Al-Gadaffis –die Unterstützung der USA und Frankreichs.
1990 wurde Habré von den Rebellen des Idriss Déby gestürzt. Habré floh und fand im Senegal Asyl.
Mit internationalem Haftbefehl gesucht, wurde Habré im Jahr 2008 vom Strafgerichtshof in N’Djamena in Abwesenheit zum Tode verurteilt. 2017 wurde er außerdem durch ein Berufungsgericht in Dakar/Senegal wegen Vergewaltigung, sexueller Sklaverei und angeordneter illegaler Tötungen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Im August 2021 starb Habré, 79 Jahre alt, an einer Covid-19 Infektion (9, S.1-3).
30 Jahre General Idriss Déby Itno for President
Der Rebellenführer Idriss Deby war Sohn eines Hirten und Weggefährte seines Vorgängers Habré. Er hatte zu dessen Aufstieg wesentlich beigetragen und wurde unter ihm Oberbefehlshaber der Armee. Nach einem misslungenen Putschversuch im Jahr 1989 floh Déby in den Sudan, wo er eine Kampfgruppe namens Mouvement Patriotique pour le Salut (MPS) gründete. Im Jahr 1990 fiel er mit dieser Kampfgruppe im Tschad ein und eroberte N’Djamena (11, S. 781).
In einer Stichwahl zwischen ihm und Wadel Abdelkader Kamougué wurde Déby im Jahr 1990 mit knapp 70% der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Dies war im Tschad die erste Wahl mit einem Mehrparteiensystem (12, S. 635; 1, S. 11 f.).1996 trat nach einem Referendum eine neue Verfassung in Kraft.
Deby war Muslim und gehörte dem Stamm der Bidayat an, der zur Ethnie der Zaghawa gehört. Die Zaghawa machen lediglich 1 – 2 % der tschadischen Bevölkerung aus (13, S. 1; 14, S. 4). Déby regierte mehr als 30 Jahre – bis zum Jahr 2021 (1, S. 14).
Im Jahr 2018 verabschiedete die Nationalversammlung eine Verfassungsänderung, durch die ein reines Präsidialsystem eingeführt wurde. Der Posten des Ministerpräsidenten wurde abgeschafft, die Amtszeit des Präsidenten auf maximal 2 Perioden von jeweils 6 Jahren festgelegt. Déby erhielt damit die Möglichkeit, bis 2033 an der Macht bleiben zu können. Er war nunmehr Staatsoberhaupt, Chef der Regierung und Oberbefehlshaber der Armee. Seine Macht war nahezu unbegrenzt (6, S. 469).
Die Verfassungsänderung war von Menschenrechtsverteidiger*innen, politischen Gegnern und Journalist*innen heftig bekämpft worden. Die Opposition im Parlament boykottierte die Abstimmung.
Kurz vor seinem Todgewann Deby im April 2021 erneut die Wahl, die ihm sogar eine sechste Regierungszeit ermöglicht hätte. Seine Macht beruhte auf einer Zaghawa-Fraktion, die sich – aus dem Osten des Landes stammend – in der Hauptstadt N‘Djamena niedergelassen hatte (taz, 14. 5. 2021; 14, S. 4).
Bei einem Truppenbesuch an der Front im Norden des Tschad wurde Déby schwer verletzt und starb (14, S. 4 f.; 10, S. 153).
Im Kontext seiner Beerdigung sagte Macron, der französische Präsident, er werde die Destabilisierung des Tschad nicht zulassen. Auf diese Art und Weise billigte er den stattgefundenen Putsch der Militärs (s.u.). „Damit spricht er den Tschadern die Grundwerte der Demokratie ab“ – so begründete Mohamed Mahdi Ali, Gründer und Anführer der tschadischen Rebellenarmee FACT (Bewegung für Wandel und Eintracht im Tschad) seine Kritik an Frankreichs „noch immer nach kolonialen Methoden funktionierende Politik“ (taz, 14. 5. 2021).
Unter Débys Regierung verschärften sich die sozialen Unterschiede in der Bevölkerung und zerschlug sich die Hoffnung auf Demokratisierung nach kurzer Zeit zugunsten eines durch und durch autoritären Regimes, abgesichert durch die Verfassung von 2018. Regierungskritiker*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und politische Aktivist*innenwurden massiv unter Druck gesetzt, verhaftet, Versammlungen wurden verboten, Journalist*innen wurden bedroht, überwacht und willkürlich festgenommen (6, S. 469 f.).
Im Februar 2021 – im Vorfeld der Wiederwahl Déby’s – wurden mindestens 14 Demonstrierende in N’Djamena festgenommen. Sie wurden wegen Körperverletzung, Störung der öffentlichen Ordnung und Zerstörung von Staatseigentum angeklagt und kurz danach wieder freigelassen. Im April und Mai 2021 wurden bei den von oppositionellen Gruppen organisierten Protesten in N’Djamena und Moundou mindestens 16 Demonstrierende getötet, viele verletzt und 700 Personen festgenommen. Mehrere Personen sagten aus, dass Ordnungskräfte sie mit tödlichen Waffen angegriffen hätten. Es ist nicht klar, ob die Zusicherung der Behörden, diesen Vorfall gerichtlich untersuchen zu lassen, bisher eingehalten worden ist (15, S.3).
Dies alles hindert Frankreich und die USA nicht, den Tschad als einen verlässlichen Vertragspartner im Kampf gegen die islamistische Terrormiliz Boko Haram anzuerkennen. So wie auch die EU den Tschad als Unterstützer gegen die illegale Migration afrikanischer Flüchtlinge Richtung Europa akzeptiert hat und akzeptiert (6, S. 470).
Transition nach Débys Tod
Der Verfassung des Tschad zufolge hätte nach dem Tod des Staatspräsidenten Déby der Präsident der Nationalversammlung dessen Amt übergangsweise übernehmen und binnen 90 Tagen Wahlen ausschreiben lassen müssen. Stattdessen übernahm ein Militärrat die Macht im Tschad, setzte die Verfassung außer Kraft und ernannte den 37jährigen Sohn Débys, Mahamat Idriss Déby, zum Präsidenten. In einer Übergangscharta wurde festgelegt, dass der Militärrat für 18 Monate regieren und danach Wahlen stattfinden sollten.
Eine Protestbewegung aus Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Gruppen und oppositionellen Parteien wandte sich gegen diese „Dynastisierung“ der Macht zugunsten des Déby-Clans: Von den 15 Generälen des Militärrates stammten mehr als die Hälfte aus der Ethnie der Zaghawa, der Vater und Sohn Deby angehören. Die sogenannte Dynastisierung zeigte sich auch daran, dass die Minister in Mahamat Débys Übergangsregierung überwiegend ehemalige Minister aus der Regierung seines Vaters und dass im Übergangsparlament die Anhänger der ehemaligen Regierungspartei Mouvement Patriotique du Salut –MPS überrepräsentiert waren (16, S.38).
Die Afrikanische Union (AU) sah in der Machtergreifung des Militärrates keinen Militärputsch, vielmehr drängte sie darauf, dass der Militärrat seinen Zeitplan einhalten solle und dass keines seiner Mitglieder, auch nicht Mahamat Déby, bei den vorgesehenen Präsidentschaftswahlen kandidieren dürfe. Frankreich und ihm folgend die EU unterstützten diese Modalitäten des Übergangsprozesses (17, S. 2; 18, S. 12).
In der ersten Zeit der Regierung Mahamat Débys entstand der Eindruck von Konsenssuche und Kompromissbereitschaft: er holte einige Oppositionelle, die während der Herrschaft seines Vaters aus dem Land geflohen waren, zurück und versah sie mit Regierungs- oder anderen gut dotierten Ämtern.
Von August bis Oktober 2022 fand schließlich der Nationale Dialog statt. Er war vom Militärrat einberufen worden. Im Zentrum der Arbeit der mehr als 1300 Mitglieder des Nationalen Dialogs sollte die Ausarbeitung einer neuen Verfassung stehen und sollte die Organisation fairer, freier und transparenter Wahlen vorbereitet werden. „Das tschadische Volk erwartet von seinen Vertretern einen echten und ehrlichen Dialog, der wirklich alle einschließt und dessen Beschlüsse Bestand haben, wie das seine ausführliche Bezeichnung „inclusif et souverain“ nahelegt“ – so die Hoffnung eines Journalisten aus dem Tschad (20, S. 3). Auch in diesem Gremium überwog jedoch wieder die Machtelite des alten und neuen Déby-Regimes. (16, S. 39 f., 18, S. 12; 20, S.1).
Unter Missachtung der Bestimmungen der Übergangscharta wurde im Kontext des Nationalen Dialogs im Oktober 2022 beschlossen, die Übergangsphase mit Mahamat Déby als Interimspräsident um 2 Jahre zu verlängern. Der Militärrat sollte aufgelöst werden, Déby und die anderen Mitglieder des Militärrates sollten – entgegen der Stellungnahme der AU – bei den zukünftigen Wahlen kandidieren dürfen. Am 10. Oktober 2022 wurde Déby Präsident für den Zeitraum der Interimsphase, statt bis dahin Präsident nur des Übergangsrates. Dieser wurde aufgelöst. Die Übergangsverfassung sah vor, dass der Präsident befugt sein sollte, alle Gremien per Dekret zu besetzen. So wurden wiederum überwiegend Minister berufen, die schon unter Débys Vater im Amt gewesen waren (16, S. 39).
Diese „Beschlüsse“ waren den Mitgliedern des Nationalen Dialogs nicht zur Abstimmung vorgelegt worden und hatten nichts zu tun mit den Inhalten, die im Verlauf des Nationalen Dialogs diskutiert worden waren (17, S. 2).
Die wichtigsten beiden Oppositionsgruppen „Wakit Tamma“ („Die Zeit ist um“) und „Les Transformateurs“ hatten den Nationalen Dialog boykottiert oder – wie z.B. Vertreter der Katholischen Kirche- verließen ihn im Verlauf der Beratungen (16,
S. 38; 18, S. 12;17, S. 3). Wakit Tamma ist ein Zusammenschluss von Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Oppositionsparteien. Die wichtigste oppositionelle Partei „Les Transformateurs“, 2019 gegründet, rekrutiert sich vor allem aus der städtischen Jugend. Sie organisierten am 20.Oktober 2022 eine Demonstration, um sich erneut gegen die Dynastisierung der Macht aufzulehnen und bezogen sich dabei auf die Demokratie-Charta der Afrikanischen Union, in der die Kandidatur von Putschbeteiligten bei nachfolgenden Wahlen ausdrücklich untersagt wird.
Von Seiten der Sicherheitskräfte wurde scharf geschossen; mehr als 150 Personen kamen dabei ums Leben, hunderte Demonstranten wurden verletzt: viele verschwanden. Succès Masra, der Führer der „Transformateurs“ musste fliehen, führende Mitglieder von Wakit Tamma mussten untertauchen. Armee und Sicherheitsapparat, der harte Kern des Déby-Regimes, hält die von der Zaghawa–Ethnie dominierte Militärelite fest im Griff (18, S. 2; 17, S. 2 f.).
Die AU, Frankreich und die EU verurteilten die Gewalt von Seiten der Regierung Débys (16, S. 39).
Die anfänglich von Mahamat Déby gezeigte Liberalität gegenüber oppositionellen Gruppen erwies sich nach alledem als lediglich taktisches Vorgehen: Mahamat Déby bedient sich derselben brutalen Herrschaftsinstrumente wie sein Vater Idriss Déby (18, S. 12). Die Hoffnung auf Demokratisierung und auf Achtung der Menschenrechte war begraben.
Außenpolitik
Tschad ist Mitglied der Vereinten Nationen (UNO), der Afrikanischen Union (AU) und der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC). Die Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich sind eng, nicht zuletzt, weil Frankreich dem Vater und dem Sohn Déby im Kampf gegen den Djihadismus und in bürgerkriegsähnlichen Zeiten militärischen Beistand leistete und leistet (16, S. 39; 17, S. 2).
Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten sind oftmals angespannt bis feindselig: mit Libyen gab es über Jahrzehnte einen Konflikt wegen des Azouzou-Streifens im Grenzgebiet beider Staaten, in dem Uran- und Wolframvorkommen vermutet wurden. Zum Sudan sind die Beziehungen wegen der immer wieder ausbrechenden Kriege im Darfur– zuletzt im Jahr 2023- und den vielen von dort kommenden Flüchtlingen belastet. Kamerun hat zahlreiche Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Tschad aufgenommen (1, S. 16).
Zu den USA unterhält der Tschad diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen.
Wirtschaft
Der überwiegende Teil der Bevölkerung des Tschad – fast 90 %- arbeitet in der Landwirtschaft. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttosozialprodukt lag im Jahr 2015 bei 52 % (6, S. 468).
Es handelt sich um Subsistenzwirtschaft, d.h. um Selbstversorgung, mit welcher der Lebensunterhalt der Familie oder Gemeinschaft gesichert werden soll. Orientierung auf den Markt oder auf Profit spielen hier keine Rolle, Arbeitsteilung ist nur wenig ausgeprägt (21, S. 1). Rund 90% der Bevölkerung leben von Landwirtschaft, d.h. von Ackerbau und Viehzucht. In der Hauptsache werden Getreide, Erdnüsse, Gemüse, Reis, Baumwolle und Tabak angebaut (1, S. 18; 6, S. 469).
Der Tschad gehört zu den ärmsten Ländern weltweit: mehr als 60% der Bevölkerung leben nach Erhebungen des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) unterhalb der Armutsgrenze und müssen mit weniger als 1,25 $ pro Tag auskommen (22, S. 456). Etwa 90 000 Männer, Frauen und Kinder lebten 2016 in Verhältnissen moderner Sklaverei, d.h. ohne irgendeine soziale Absicherung. Auch für Menschen, die regulär beschäftigt sind, gibt es nur ansatzweise Möglichkeiten sozialer Absicherung wie z.B. Arbeitssicherheit und betrieblicher Gesundheitsschutz (6, S. 470). Es gibt ein Stadt-Landgefälle und ein Nord-Südgefälle: der Stadtbevölkerung geht es besser als den Menschen, die auf dem Land leben. Auch ist der Süden infolge der günstigeren klimatischen Verhältnisse wirtschaftlich besser entwickelt als der Norden des Landes (22, S, 456).
Neueren Angaben des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten zufolge waren 5.5 Mio. Menschen im Tschad von Ernährungsunsicherheit und Unterernährung betroffen, darunter 1,7 Mio. in schwerer Form. Darüber hinaus wurden bei 1,7 Mio. Menschen schwere medizinische Notfälle festgestellt, darunter bei Kindern sowie bei schwangeren und stillenden Frauen (15, S. 3).
Das Erdölprojekt: Chad- Cameroon Petroleum Development and Pipeline Project
Im Doba-Becken im Süden des Tschad hatte im Jahr 2003 die Förderung von Erdöl durch Exxon Mobil begonnen. Mit Hilfe von 300 Bohrlöchern sollte das Erdöl gefördert und mittels einer unterirdisch verlaufenden Pipeline durch Tschad und Kamerun etwa 1000 km weit an die Atlantikküste transportiert werden. In Kribi, einer Stadt an der Atlantikküste, sollte ein Offshore-Terminal für die Lagerung und Verschiffung des Öls gebaut werden (25, S. 3). Die dafür notwendige Infrastruktur umfasste ein weitverzweigtes Röhren- und Straßennetz, Pumpstationen, Unterkünfte für die Firmenmitarbeiter, ein satellitengestütztes Kommunikationssystem und ein Projektkraftwerk, Lagerstätten, Wartungshallen, Werkstätten, einen internationalen Flughafen und all das in großem Umfang (26, S. 22). Die Erdölförderung sollte 25 Jahre lang erfolgen.
Das Investitionsvolumen betrug insgesamt 3,7 Mrd. US-$ und war damals die größte privatwirtschaftliche Investition auf dem afrikanischen Kontinent (26, S. 22). Als Träger des Projekts waren anfangs die Ölkonzerne Exxon/Mobil/Esso Chad, Shell und Elf Aquitaine beteiligt. (11, S. 474; 26, S. 25 f.). Zur Finanzierung wurde ein Kredit in Höhe von knapp 139,5 Mio. US-$ bei der Weltbank beantragt. Deren Mitarbeiter gaben vor, mit Hilfe des Erdölprojekts die Armut in Tschad und Kamerun bekämpfen zu können. Dies ohne Rücksicht darauf, dass die Erdölförderung in anderen Ländern wie z. B. in Nigeria von Gewalt, Korruption und sozialem Elend begleitet wird (26, S. 27 f.; 24 f.).
Das Projekt war außerordentlich umstritten: die Bevölkerung im Tschad, durch die Folgen der Erdölgewinnung unmittelbar z. B. durch Land Grabbing, Umweltschäden und unzureichende Entschädigung betroffen, wurde über das geplante Projekt weder informiert noch in die Planung einbezogen.
Ein internationales Netzwerk aus Personen mit unterschiedlichen Fachkompetenzen – Umwelt-, Entwicklungs-, Menschenrechts-, Friedens- und Advocacyarbeit- bildete sich. Auf internationaler Ebene gab es Aktionsbeteiligte in Europa, USA, in Tschad und Kamerun. In Deutschland arbeiteten u.a. amnesty international, Brot für die Welt, EIRENE, Misereor, Urgewald und WEED mit (ebd.). Die Arbeit des Netzwerks zielte nicht darauf ab, die Ölförderung zu verhindern, sondern „sie für die Betroffenen sozial- und umweltverträglich zu gestalten“ (26, S.146). Die Netzwerker*innen stellten konkrete Forderungen auf, vor allem gegenüber der Weltbank und konnten konkrete Verbesserungen erreichen: Zugang zu den Informationen über das Erdölprojekt und seine Auswirkungen für die Bevölkerung im Tschad und in Kamerun. Angemessenere Entschädigung, z.B. für die zerstörten Mangobäume und andere Früchte und Kulturen in beiden Ländern, Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt und Einrichtung zweier Naturschutzgebiete in Kamerun, sowie den Rückgang der Übergriffe durch staatliche Sicherheitskräfte im Erdölgebiet seit 1998 (26, S. 142 f.). Mit diversen Aktionen machten sie die internationale Öffentlichkeit auf die menschenrechtlichen, ökonomischen und ökologischen Probleme im Kontext und als Folgen des Erdölprojekts aufmerksam.
Für die Beteiligten aus Tschad und Kamerun erwies sich die Mitarbeit im Netzwerk als extrem gefährlich, waren sie doch Einschüchterungen, Gewalt und Übergriffen durch Militär und Polizei ausgesetzt (26, S. 4).
Die Weltbank entschied im Jahr 2000, sich mit 139,5 Mio. $ an diesem Projekt zu beteiligen. Inzwischen waren im Jahr 1999 Shell und Elf aus dem Konsortium ausgestiegen. Chevron und die malaysische Ölgesellschaft Petronas wurden die neuen Mitglieder des Konsortiums (27, S. 792). Esso war Konsortialführer und für die Durchführung des Erdölprojekts verantwortlich (25, S. 12).
Aus Sicht der Weltbank war dieses Projekt ein Modellprojekt, das Entwicklung und Umweltschutz ermöglichen sollte (26, S. 140). Mit Hilfe institutioneller Garantien – einem Umweltmangementplan, einem Entschädigungsplan, einem Gesetz über die Verteilung der Öleinnahmen- sollte die Ölförderung zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung beitragen (25, S. 15).
Die Weltbank machte zur Bedingung, dass die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft zur Armutsbekämpfung im Tschad eingesetzt werden müssten. Mit der Regierung des Tschad wurde deshalb vereinbart, dass 10 % der Öleinnahmen für künftige Generationen reserviert und auf ein Sperrkonto bei der CityBank in London eingezahlt werden sollten. Von den verbleibenden 90 % der Öleinnahmen sollten 80 % in die vordringlichen Bereiche Erziehung, Gesundheit, Umwelt, Wasser und Infrastruktur investiert, 15 % für weitere laufende Ausgaben des Staates verwendet werden und 5% sollten direkt in die Ölförderregion „Östlicher Logone“ fließen. Diese Vorgaben für die Verwendung sollten durch ein Gremium aus Vertretern der Regierung und der Zivilgesellschaft überwacht werden. So sah es ein Gesetz vom Januar 1999 vor (25, S. 13).
Wie dagegen die Regierung des Tschad eigentlich mit den Öleinnahmen umzugehen gedachte, wurde bereits im Jahr 2000 deutlich. Nach dem Rückzug von elf und Shell ließ sich die Regierung von den in das Konsortium neu eingetretenen Gesellschaften Petronas und Chevron einen „Eintrittspreis“ von je 25 Mio. $ bezahlen. Einen Teil davon verwandte Déby für den Kauf von Waffen (26, S. 149 f.; 27, S. 2).
Im Jahr 2006 unterzeichnete Déby ein Gesetz mit noch eindeutigerer Zielsetzung: nunmehr sollten 30 % der Einnahmen aus der Erdölproduktion für laufende Ausgaben verwendet werden. Der externe Fond für die zukünftigen Generationen wurde abgeschafft. Die vordringlichen Bereiche wurden um die Sektoren Sicherheit, Energie, Erdöl, Justiz und allgemeine Verwaltung erweitert (25, S. 13). Die Regierung begründete dies mit erhöhten Militärausgaben, verursacht durch den eskalierenden Konflikt mit Rebellengruppen im Osten des Landes (28, S. 477). De facto flossen die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft denn auch in die Verwaltung, den militärischen Bereich und in Infrastrukturprojekte (29, S. 457). Dies, obwohl Déby im Oktober 2003 anlässlich der Einweihung der Ölpipeline Tschad-Kamerun erklärt hatte: …“die Entwicklung der Rohölindustrie dient der ganzen tschadischen Nation“ (25, S.14).
Im September 2009 beendete die Weltbank die Kooperation mit dem Tschad, nachdem dessen Regierung den erhaltenen Kredit in Höhe von bisher knapp 40 Mio.$ vorzeitig zurückgezahlt hatte. Die Weltbank begründete ihren Rückzug damit, dass die Regierung des Tschad ihre Verpflichtung zur Armutsbekämpfung nicht eingehalten habe. Die Regierung des Tschad konnte die Erdöleinnahmen nun ausschließlich nach ihrem Gutdünken verwenden(31, S. 501; 25, S. 14).
Mittlerweile ist die Erdölprospektion und -produktion im Tschad noch ausgeweitet worden: An viele multinationale Konzerne, z. B. aus China und Kanada wurden Explorations- und Förderlizenzen für verschiedene Regionen im südlichen Tschad vergeben (25, S. 13, 26).
Resumee
Für die Bevölkerung in der Region Logone bedeutete die neu errichtete Ölförder-Infrastruktur Enteignung von zuvor bewirtschaftetem Boden. Die mit dem jeweiligen Land verknüpften sozialen Beziehungen wurden instabil oder aufgelöst- das Geld aus den Ausgleichszahlungen rückte nunmehr in den Mittelpunkt der sozialen
Beziehungen und veränderte diese, z.B. indem Ansprüche und Forderungen an die Empfänger geltend gemacht wurden. Das Erdölprojekt hatte außerdem einen Ansturm ortsfremder Menschen zur Folge, die in der Region z. B. als Händler oder Prostituierte Arbeit suchten. Alkoholismus, Ansteckungen mit dem Aids-Virus nahmen zu. Das Geld aus den Ausgleichszahlungen war für viele Empfänger eine Überforderung und wurde verschwendet oder planlos ausgegeben (30, S. 6). Trotz aller von ihr initiierten und akzeptierten Vorgaben hinsichtlich der Verwendung der Erdöleinnahmen konnte oder wollte die Weltbank die Regierung des Tschad nicht in die gewünschte Richtung bringen.
Die Teilnahme von tschadischen Akteuren an der Netzwerkarbeit hat für die Beteiligten zur Entstehung von „bürgerschaftlichem Bewusstsein auf dem Lande“ (30, S. 7) geführt und zur Stärkung und Qualifizierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Tschad und Kamerun beigetragen. Sie hat Lernprozesse bezüglich Partizipation und Interessenvertretung in die Wege geleitet und Rahmenbedingungen für Konfliktprävention und Menschenrechtsarbeit geschaffen. Die Netzwerkarbeit hat die tschadischen und kamerunischen Akteure so gestärkt, dass sie im Rahmen des Erdölprojekts handlungsfähig gegenüber ihren Regierungen und gegenüber dem Ölkonsortium wurden und die Auseinandersetzung über die Modalitäten des Erdölprojekts führen konnten: so beurteilt ein Mitarbeiter der Erdöl AG das Ergebnis der Zusammenarbeit (32, S. 1).
So lange Déby Präsident bleibt, ist die Regierung des Tschad an einer Demokratisierung und wirtschaftlichen Weiterentwicklung des Landes nicht bzw. nur im Sinne der eigenen Machterhaltung bzw. Besitzstandswahrung und der Wahrung eigener Vorteile interessiert. Die Lebensbedingungen der Bevölkerung sind und bleiben demgegenüber belanglos.
Menschenrechte
Verletzungen der Menschenrechte wie Folter, Gewaltakte staatlicher Sicherheitsbehörden oder sexuelle Gewalt waren und sind bis heute im Tschad an der Tagesordnung. Politisch unliebsame Personen oder politische Gegner, regierungskritische Abgeordnete und Aktivisten werden willkürlich festgenommen und inhaftiert. In den überfüllten Gefängnissen fehlt es an Nahrung, Trinkwasser und medizinischer Versorgung. Das Vorgehen von staatlicher Seite ging bis zu Entführung und Mord, ohne dass die dafür Verantwortlichen strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten hatten (33, S. 461; 34, S. 456).
Nachfolgend werden Verletzungen der Menschenrechte im Tschad exemplarisch dargestellt: sie richten sich vor allem gegen Personen und Organisationen, welche die Regierung kritisieren.
Im Januar 2009 wurde ein Protestmarsch verboten, mit dem sich Frauen gegen die hohen Lebenshaltungskosten wandten (31, S. 501). Im Oktober 2012 wurde der katholische Bischof von Doba, Monsignor Michele Russo des Landes verwiesen. Er hatte die Regierung in einer Predigt kritisiert (33, S. 461).
Proteste, mit denen sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen gegen Menschenrechtsverletzungen oder die prekäre wirtschaftliche Situation wandten und mehr politische Teilhabe forderten oder mit denen sich Schüler und Studenten gegen eine Helmpflicht für Motorradfahrer mit der Folge steigender Preise für die Helme wandten, wurden von Seiten der Regierung mit Tränengas und scharfer Munition bekämpft. Schulen und Universitäten wurden vorübergehend geschlossen.Es gab Todesopfer und viele Verletzte (22, S.455).
Dennoch beschloss die Afrikanische Union im Juli 2012, die Kandidatur Tschads für einen Sitz als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat für die Zeit 2014 / 2015 zu unterstützen(33, 461). Im Oktober 2013 wurde der Tschad denn auch für diese Periode gewählt (34, S. 456).
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen von 2016 kam Protest aus der Bevölkerung gegen Unterdrückung und soziale Missstände: Beamte demonstrierten für mehr Gehalt, Schüler*innen und Lehrer*innen für bessere Bildungschancen. In mehreren Städten wurde ein Generalstreik organisiert. Auslöser dieser Protestwelle war eine Gruppenvergewaltigung an einer 16-jährigen Schülerin, der Tochter eines oppositionellen Präsidentschaftskandidaten. An der Vergewaltigung sollten Söhne hochrangiger Politiker und Militärs beteiligt gewesen sein. Der Staat erließ ein Versammlungsverbot. Regierungskritische Aktivisten wurden verhaftet: man warf ihnen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Gefährdung der öffentlichen Ordnung vor (29, S. 457).
Auch 2016/2017 dauerten die öffentlichen Proteste an: gegen die Einschränkung der Bürgerrechte, gegen die prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen, die sich infolge von staatlichen Sparmaßnahmen nochmals verschlechterten, gegen ausstehende Löhne und Rentenzahlungen. Hunger war zu einem akuten Problem geworden: im September 2016 litten Schätzungen der UN zufolge etwa 250 000 Menschen auf der tschadischen Seite des Tschadsees an Mangelernährung und waren auf Hilfe angewiesen. Der Welthunger-Index, veröffentlicht im Oktober 2016, qualifizierte die Lage im Tschad als „sehr ernst“.
Die Demonstrationen gegen diese existentiellen Missstände wurden zum Teil gewalttätig. Die staatlichen Sicherheitskräfte gingen dagegen mit exzessiver Gewalt vor. Bei einem friedlichen Protest gegen die Wiederwahl Débys im August 2016 wurden sogar Schusswaffen eingesetzt und ein Demonstrant getötet, elf Teilnehmer einer nicht genehmigten Demonstration wurden vorübergehend festgenommen, so berichtete amnesty international (35, S. 461).
Im Juni 2021 wurde Baradine Berdei Targuio, Präsident der Menschenrechtsorganisation Convention Tchadiennepour la Défense des Droits Humains– CTDDH auf Bewährung aus der Haft entlassen. Er war im Januar 2020 festgenommen und zu einer Haftstrafe von 3 Jahren verurteilt worden, weil er in einem Facebook-Post mitgeteilt hatte, dass Präsident Déby krank sei. Die Anklage lautete: Verstoß gegen die nationale Sicherheit, unerlaubter Waffenbesitz und Körperverletzung.
Sein Kollege Mahamat Nour Ibedou, Generalsekretär der CTDDH, hatte an mehreren Protestdemonstrationen teilgenommen. Er wurde deshalb vorgeladen und schließlich während einer Protestveranstaltung gegen die Präsidentschaftskandidatur von Déby festgenommen. Er kam nach einigen Tagen frei, ohne dass Anklage gegen ihn erhoben wurde (1, S. 2).
Gordon Kricke, zuvor Sonderbeauftragter im Auswärtigen Amt für die Sahelzone, war seit 2021 deutscher Botschafter im Tschad. Er wurde im April 2023 von Seiten der Interimsregierung des Tschadaufgefordert, das Land zu verlassen. Ihm wurde „unhöfliche Haltung“ vorgeworfen. Er wurde zur unerwünschten Person erklärt, weil er die Politik dieser Regierung, den Militärputsch und das gewaltsame Vorgehen gegen die daraufolgenden Proteste kritisiert und die Beachtung der Menschenrechte, sowie die Abhaltung regulärer Wahlen eingefordert hatte. Von Seiten der Regierungen in USA und in Frankreich kamen ebensolche Kritik. Als Reaktion auf die Entscheidung, den deutschen Botschafter auszuweisen, wurde auch die Botschafterin des Tschad in Deutschland, Mariam Ali Moussa, aufgefordert, Deutschland zu verlassen (36; FR 13. 4. 2023).
Presse- und Meinungsfreiheit
In der Verfassung des Tschad sind Presse- und Meinungsfreiheit als Grundrechte festgeschrieben. Dennoch sind regierungskritische Journalist*innen von Seiten der Regierung Déby umfassenden staatlichen Repressionen und Schikanen ausgesetzt (35, S. 461). Im Folgenden wird exemplarisch über Eingriffe in die Meinungs- und Pressefreiheit in der Regierungszeit von Vater und Sohn berichtet:
Im August 2010 wurde ein neues Pressegesetz verabschiedet. Die Opposition stimmte dagegen, weil es ihrer Meinung nach die Pressefreiheit gefährdete (37, S. 480). Im September 2012 wurde der Chefredakteur der Zeitung „N’Djamena Bi-
Hebdo“, Jean Claude Nekim zu einer Geldstrafe verurteilt, weil in seiner Zeitung eine Stellungnahme der Gewerkschaft abgedruckt worden war (33, S. 461).
Im Oktober 2013 publizierte amnesty international einen Bericht „Im Namen der Sicherheit?“, in dem der Regierung Déby schwere Menschenrechtsverletzungen angelastet wurden: Beschränkungen der Meinungsfreiheit seien an der Tagesordnung, Journalisten würden eingeschüchtert, schikaniert, willkürlich festgenommen. Meinungsäußerungen würden gewaltsam unterdrückt- bis hin zu Entführung und Mord und ohne dass die Sicherheitskräfte dafür zur Rechenschaft gezogen würden (34, S. 457).
Im August 2016 wurde der Herausgeber der Zeitung „Haut Parleur“, Stéphane
Mbairabé Ouaye angeklagt. Ihm wurden versuchter Betrug und Erpressung vorgeworfen. Er hatte ein Interview durchgeführt, in dem es u.a. um Korruptionsvorwürfe gegen den Bruder des Präsidenten Déby ging. Im September wurde er freigelassen.
Im gleichen Jahr wurde der Blogger und Bürgerjournalist Tadjadine Mahamat Babouria inhaftiert, weil er auf Facebook die Korruption und die schlechte Wirtschaftslage kritisiert hatte (1, S. 19).
Der Reporter Bemadjiel Saturnin wurde während seiner Moderation für den Radiosender FM Liberté im September festgenommen, obwohl er den Sicherheitskräften seinen Presseausweis vorgelegt hatte. Er hatte von einer aktuellen Demonstration berichtet. Auch er kam nach einer ausführlichen Befragung am gleichen Tag frei (34, S. 456; 35, S. 461).
Im März 2018, nach einer Konferenz, in der es um die geplante neue Verfassung gegangen war, wurden die sozialen Netzwerke und die online-Kommunikationsdienste im Tschad für mehrere Tage blockiert. Zu dieser Zeit wurden auch mehrere friedliche Versammlungen untersagt. Aktivist*innen, die Proteste organisiert oder an ihnen teilgenommen hatten, wurden verhaftet. Kritische Journalist*innen wurden überwacht, bedroht, willkürlich festgenommen (6, S. 470).
Diese Aussage trifft auch für das Jahr 2021 zu, so die Bilanz von amnesty international (15, S. 2).
Im Februar 2022 berichtete der Journalist und Radioreporter Evariste Djai-Loramadji für den christlichen Radiosender Lotiko, dass Menschen in seinem Dorf Sandana „in den Busch fliehen“. Er hatte, so wurde nach seinem Tod berichtet, versucht, die Fluchtgründe herauszufinden. Dabei stellte sich heraus, dass ein Hirte bei einem Motorradunfall gestorben war, der aber von der örtlichen Polizei als „Mord“ qualifiziert wurde. Andere Hirten initiierten deshalb eine Strafaktion in dem Dorf. Sie waren mit Gewehren bewaffnet – der Reporter wurde mit 10 anderen Personen ihr Opfer. Heckenschützen erschossen ihn aus nächster Nähe.
Zuvor, Ende August 2019, wurden im selben Dorf im Kontext eines Konflikts zwischen Hirten und Bauern zehn Menschen getötet. Auch darüber hatte Loramadji damals berichtet und war daraufhin bedroht worden.
Die Union der tschadischen Journalisten hat gefordert, dass die Täter und Mittäter der Massaker verfolgt und bestraft werden. „Der verstorbene Djai-Loramadji Levariste war seit über zehn Jahren Mitarbeiter des Lotoko-Radios als ständiger Korrespondent im Dorf Sandana. Er war seinen Verpflichtungen stets treu, willensstark und zielstrebig und widmete sich dem Journalismus, den er mit seinem Herzen ausübte, bis zu jenem verhängnisvollen 9. Februar, an dem ihn das fatale Schicksal ereilte“ – so würdigte Abbas Mahamoud Tahir, Union de Journalistes Tchadiens (UJT) die Arbeit Loramadjis (38).
Ebenso wie sein Vater, sichert auch Mahamat Déby seine diktatorische Herrschaft unerbittlich brutal und gewaltsam ab.
Der Tschad steht in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 109 von 180 Ländern (38).
Anmerkungen:
1) wikipedia, Tschad, abgerufen am 7. 6. 202
2) Ngala Killian Chimtom, Hilfe für schrumpfenden Tschadsee, 19. 2. 2013, in: afrika
info, abgerufen am 17. 7. 2023
3) wikipedia, N’Djamena, abgerufen am 25. 7. 2023
4) Tschad: Geschichte, Bevölkerung und Geografie, https:/www.merkur.de/welt/
Tschad-geschichte-politik-bevoelkerung-geografie-91783688.html, abgerufen am
21. 6. 2023
5) Theresa Krinninger, Tschadsee: Klimawandel befördert den Terror, abgerufen am
9. 6. 2023, 6)
6) Der neue Fischer Welt-Almanach 2019, Frankfurt 2018
7) Auswärtiges Amt, In der Region, mit der Region: Tschadsee-Konferenz in
Niamey, 25. 1. 2023, abgerufen am 17. 7. 2023
8) https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/tschad, abgerufen am 21. 6.
2023
9) wikipedia, Hissène Habré, abgerufen am 19. 6. 2023
10) Helga Dickow, Satusfaction With The Status Quo: Why has Religious Terrorism
not yet Gained Ground In Chad?, in: Contemporary Journal of African Studies,
Vol. 9, no.2, 2022, p. 147 -186; abgerufen am 9. 6. 2023
11) Der Fischer Welt-Almanach 2008, Frankfurt 2007, Tschad und
Biografien: Déby,Idriss, S. 781
12) Der Fischer Welt Almanach 1997, Frankfurt 1996, Tschad
13) wikipedia, Idriss Déby, abgerufen am 25. 7. 2023
14) wikipedia,Zaghawa, abgerufen am 25. 7. 2023
15) amnesty international, Report Tschad 2021, 29. 3. 2022
16) Helga Dickow, Die Herrschaft bleibt in der Familie, in : Weltsichten 12/2022, S.
36 ff.
17) Wolfram Lacher, Krisenbehaftete Transition im Tschad, SWP-Aktuell 2022/ A 71,
8. 11. 2022, S. 1-6
18) Helga Dickow, Auf dem Weg in die Dynastie. Im Tschad wurde die Transitions-
Phase verlängert, in: iz3w, Januar/Februar 2023, S. 11-13
19) Helga Dickow, Wahlen im Tschad – Hochschul- und Wissenschaftsskommu-
nikation; https:/kommunikation.uni-freiburg.de/expertendienst/wahlen-im-tschad-
dickow (18.6.2023), Freiburg 12. 3. 2021, abgerufen am ……………
20) Eric Topana, Meinung: Was der nationale Dialog im Tschad leisten muss,
20. 8. 2022; https://www.dw.com/de/meinung-was-der-nationale-dialog-im
Tschad-leisten-muss/a-62871747,
21) wikipedia, Subsistenzwirtschaft, abgerufen am 13. 6. 2023
22) Der neue Fischer Weltalmanach 2016, Frankfurt 2015
23) Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/10345 vom 20. 5. 2019,
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage…, Drucksache 19/9498,
S. 1, 6
24) Auswärtiges Amt, Tschadsee-Konferenz in Berlin mit 2,17 Milliarden US-Dollar
Hilfezusagen, 3. 9. 2018
25) Hoinathy Remadji, Der Tschad, der östliche Logone und die Erdölregion um
Doba, in: Erdöl und sozialer Wandel im Süden des Tschads, S. 10 – 26, hsg. von Brot für die Welt, Oktober 2013
26) Martin Petry, Wem gehört das schwarze Gold?hsg. von Brot für die Welt
Frankfurt / Main 2003
27) Y. Bégoto Oulatar, Erdölförderung im Tschad – Musterprojekt der Weltbank, in:
schweizer „Wochenzeitung“ vom 16. Oktober 2003 – abgedruckt im Internet-
Auftritt der AG Friedensforschung: webmaster@ag-friedensforschung.de
28) Der Fischer Weltalmanach 2007, Frankfurt 2006
29) Der neue Fischer Weltalmanach 2017, Frankfurt 2016
30) Hoinathy Remadji, Fluch der guten Absicht, in: Weltsichten, 26. 6. 2013
31) Der Fischer Weltalmanach 2010, Frankfurt 2009
32) Martin Petry und Barbara Müller, Das Erdölprojekt in Tschad-Kamerun, o.O., o.J.
33) Der neue Fischer Weltalmanach 2014, Frankfurt 2013
34) Der neue Fischer Weltalmanach 2025, Frankfurt 2014
35) Der neue Fischer Weltalmanach 2018, Frankfurt 2017
36) Tschad: Berichterstattung DER SPIEGEL, abgerufen am 21. 6. 2023
37) Der neue Fischer WeltAlmanach 2012, Frankfurt 2011
38) Reporter ohne Grenzen, getötet 9. Februar 2022 – Evariste Djai-Loramadji-
Radio Lotiko, https://rsf.org/en/news/radio-reporter-killed-southern-chad-
village-massacre
39) wikipedia, Tschadsee, abgerufen am 9.6.2023
Zum Konflikt um Darfur in der Zeit von 1898 – 2006)
Gérard Prunier, Darfur. Der uneindeutige Genozid, Hamburg 2006
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