Lokman Slim, * 1962 Libanon, ermordet 2021 Libanon

Lokman Slim, * 1962 Libanon, ermordet 2021 Libanon

Lokman Mohsen Slim war ein libanesischer Verleger, Filmemacher, Publizist und Kulturvermittler. Als unabhängiger Sozial- und Politaktivist setzte er sich insbesondere für eine Erinnerungskultur zur Aufarbeitung der konfliktreichen Geschichte des Landes wie der gesamten Region ein. Bekannt wurde er darüber hinaus als Kritiker der vom Iran unterstützten Hisbollah, aber auch aller anderen politisch-konfessionellen Kräfte.

Slim kam aus einer alteingesessenen und einflussreichen Familie im schiitisch dominierten Süden Beiruts, die enge Beziehungen zu den christlichen Eliten des Landes pflegte. Seine Mutter Salma Merchak stammt aus Ägypten und hat einen christlichen Hintergrund. Sein Vater Mohsen Slim war Rechtsanwalt, Großgrundbesitzer und von 1960 bis 1964 Abgeordneter im libanesischen Parlament. 1977 gründete er die schiitisch dominierte Union des Forces Libanaises, die sich vor allem für die Entwaffnung der militanten Palästinensergruppen im Land einsetzte. Im weiteren Verlauf des Libanesischen Bürgerkrieges verlegte er seine Kanzlei indes nach Paris. Sein 20-jähriger Sohn Lokman zog 1982 nach Frankreich, wo er sechs Jahre lang lebte, um an der Sorbonne ein Studium der Philosophie zu absolvieren. Er gründete nach seiner Rückkehr in den Libanon 1990 den unabhängigen libanesischen Verlag DAR AL-JADEED. Lokmann veröffentlichte dort arabische Literatur und Artikel, die landesweit Kontroversen hervorriefen.

2004 gründete er zusammen mit seiner Frau Monika Borgmann das Dokumentations- und Forschungszentrums UMAM, über das er einen großen Teil der Ressourcen für die Aufzeichnung, Zusammenstellung, Erhaltung und Förderung der libanesischen Geschichte bereitstellte.

„Mitten in der Dahiye, dem schiitischen Zentrum der Hisbollah in Beirut, entstand so eine der ersten großen Initiativen des Landes, um das kollektive Schweigen der Gesellschaft über die Verbrechen des Bürgerkriegs mit seinen über 90.000 Toten aufzubrechen. Nach dessen Ende 1990 hatten sich die Führer der konfessionellen Milizen gegenseitig Amnestie zugesichert und Posten und Geldquellen unter sich aufgeteilt.

Gegen diese politische Omertà entwickelten Slim und Borgmann eine ganz eigene Strategie: unermüdliche Aufklärung verbunden mit künstlerischer Kreativität. UMAM hat die Schicksale der über 17.000 Vermissten des Bürgerkrieges in Datenbanken und mit Fotoinstallationen dokumentiert, Audiodateien von Augenzeuginnen erstellt, Abertausende Zeitungen und Flugblätter archiviert, verloren geglaubte Filme restauriert, Ausstellungen organisiert und Jugendliche aus allen Konfessionen zusammengebracht, die bis heute im Schulunterricht nichts über den Bürgerkrieg lernen.“ schreibt ZEIT-ONLINE.

Slim veröffentlichte mehrere historische Dokumente und Werke über Kunst.

Einige Bücher seines Verlags wurden vom libanesischen Nachrichtendienst Direction Générale de la Sûreté Générale (DGSG) zensiert und verboten, darunter die ersten arabischen Übersetzungen der Schriften des ehemaligen iranischen Reformpräsidenten Mohammad Chātami. Besonders dieser Fall sorgte in der schiitischen Gemeinschaft des Libanon für große Kontroversen.

Zusammen mit seiner Frau, der deutschen Regisseurin Monika Borgmann und dem Journalisten Hermann Theißen drehte er den Dokumentarfilm „Massaker“ (2004) über die Täter des Massakers von Sabra und Schatila. Der Film lief weltweit auf zahlreichen Festivals und wurde auf der Berlinale 2005 mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet. Gemeinsam mit Borgmann drehte Slim den Dokumentarfilm „Tadmor“ (2016) über ein Foltergefängnis des Assad-Regimes. „Tadmor“ wurde auf dem Filmfest Hamburg 2016 mit dem Preis „Der Politische Film“ der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet.

Während des Krieges von 2006 zwischen Hisbollah und Israel wurden große Teile des Hauses von Slim im Beiruter Stadtteil Haret Hreik durch ein Bombardement der israelischen Luftstreitkräfte zerstört. Von den Verwüstungen war auch sein Archiv schwer betroffen.

Nach der Teilnahme an einer Gesprächsrunde auf dem Märtyrer-Platz zum Konzept außenpolitischer Neutralität im Dezember 2019 erhielt der Hisbollah-Kritiker Todesdrohungen. Er wurde als „Verräter“ beleidigt, sein Haus wurde belagert. In einer Stellungnahme erklärte Slim, nicht nur er selbst, sondern auch seine Frau sei diesen Drohungen durch die Hisbollah ausgesetzt. 

„Was Slim für die „Partei Gottes“ besonders gefährlich machte, waren seine investigativen Recherchen über deren militärische und finanzielle Netzwerke, die Verbindungen zum Iran und die Allianz mit dem Al-Assad-Regime im Syrien-Krieg. Und es war seine Weigerung, sich einschüchtern zu lassen. Mit jedem Fernsehauftritt, jedem Kommentar demonstrierte er, dass es eine innerschiitische Opposition gegen die Hisbollah gibt, dass viele sich nicht mehr ihrem Machtanspruch und ihrem Narrativ von der „gottesfürchtigen Schutzmacht der Schiiten gegen Israel und den Westen“ beugen wollen. Die libanesische Journalistin Mona Alami, die Slim wenige Tage vor seinem Tod getroffen hatte, berichtete, er habe einem wichtigen Finanzier und Geldwäscher der Hisbollah helfen wollen, sich abzusetzen.“ so ZEIT-ONLINE.

Slim verschwand während einer Rückreise nach Beirut am Abend des 3. Februar 2021. Der Aktivist wurde schließlich in der Nähe des Dorfes Zahrani im Südlibanon tot aufgefunden. Er war durch vier Kopfschüsse und einen Schuss in den Rücken getötet worden. Das Telefon des 59-Jährigen wurde einige Kilometer entfernt in Niha im Süden gefunden, einer anderen Region unter der Kontrolle der militanten Gruppe.

Kurz nach den ersten Nachrichten vom Mord twitterte Dschawad Nasrallah, ein Sohn von Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah: „Was für manche Leute ein Verlust bedeutet, ist in Wirklichkeit ein Gewinn und eine unerwartete Güte #KeineReue“. Später löschte er den Tweet und erklärte, nicht Lokman Slim gemeint zu haben.

Najat Rochdi, stellvertretende Sonderkoordinatorin der Vereinten Nationen und UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe im Libanon, äußerte sich nach dem Auffinden Slims schockiert über die Ermordung des libanesischen Hisbollah-Kritiker und Publizisten. Die Ermordung eines mutigen und engagierten Intellektuellen sei ein Verlust für das gesamte libanesische Volk. Rochdi forderte ein gründliches, schnelles und transparentes Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, um alle Verantwortlichen für diese „unerhörte Tat“ vor Gericht zu stellen.

Quelle: Wikipedia, www.zeit.de

Künstlerin: Susanne Köhler