Andrey Pyzh, * 1982 Russland, in russischer Haft seit 2020

Andrey Pyzh, * 1982 Russland, in russischer Haft seit 2020

Der in Sankt Petersburg lebenden populäre Video-Blogger Andrej Pyzh (Pjesch) mit russischer und ukrainischer Doppelstaatsbürgerschaft betrieb den Youtube-Kanal URBANTURIZM. Seinen mehr als 800.000 Followern zeigte er Videos über verlassene städtische Infrastrukturen, darunter auch Krankenhäuser. Ebenso filmte er sich, wie er ein im Bau befindliches Kraftwerk ausforschte.

Er verschwand am 5. August 2020, nachdem sein Haus vom Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) durchsucht worden war. Erst 26 Tage nach seiner Verhaftung durfte er seinen Anwalt kontaktieren. Dieser gab an, daß Andrey Pyzh zunächst ohne eine konkrete Anklage gegen ihn festgesetzt wurde. Der Fall wurde RUSSIA TODAY zufolge als „geheim“ eingestuft. Demnach sei die Veröffentlichung der Details rund um den Fall verboten.

Nach einem undurchsichtigen und unfairen Prozess inmitten der verschärften Spannungen mit der Ukraine wurde der 37-Jährige am 29. Oktober 2020 wegen „illegaler Beschaffung und Weitergabe von Staatsgeheimnissen“ und wegen „Einreise in die Ukraine im Besitz dieser Informationen mit der Absicht, sie im Ausland zu verbreiten“ zu fünf Jahren Haft verurteilt. 

Die Behörden gaben nicht an, um welche Art von Informationen es sich gehandelt haben soll. Einige Journalisten brachten jedoch das vom russischen Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) eingeleitete Verfahren mit dem Videobericht von Pjesch in Verbindung, das er über eine militärische Radarstation nördlich des Polarkreises in Olenegorsk in der Region Murmansk angefertigt hatte.

Offiziell war die Radarstation in Betrieb und gut finanziert, doch indem sie als Ruine gezeigt wurde, deckte Pyzh in seinem Bericht einen groß angelegten Fall von Veruntreuung von Militärgeldern auf. Dies ist ein Thema, über das Journalist:innen nicht mehr berichten dürfen, weil es angeblich „die Sicherheit Russlands untergraben“ könnte.

Das Thema steht auf einer Liste mit rund 60 militärbezogenen Themen, darunter die Moral der Truppen und die Schikanen für Armeekadetten, die der FSB seit Ende September 2020 verboten hatte. Dadurch wurde die Bandbreite der Themen, über die Journalist:innen berichten können, drastisch eingeschränkt. Das Sammeln und Verbreiten von Informationen über eines der verbotenen Themen kann zu einem Strafverfahren und zur Aufnahme in die Liste der „ausländischen Agenten“ führen. Der FSB ist ständig bemüht, die Presse- und Meinungsfreiheit weiter einzuschränken. Daher hat er am 1.Januar 2021 eine neue Fassung der Regeln für Informationen, die ein Staatsgeheimnis darstellen, in Kraft gesetzt.

Die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS hat inzwischen angedeutet, dass die verbotenen Informationen, für die Pjusch angeklagt wurde, die Metro-2 betrafen, ein geheimes unterirdisches Verkehrssystem in Moskau, das parallel zu der von der Öffentlichkeit genutzten Metro existiert.

„Spionagevorwürfe wurden in letzter Zeit häufig von den russischen Sicherheitsdiensten benutzt, um die Propaganda über die Notwendigkeit der Beseitigung eines ‚inneren Feindes‘ zu schüren, und zu ihren Opfern gehörten Journalisten wie Iwan Safronow und Wladislaw Yesipenko. Wir verurteilen die Anwendung eines geschlossenen Verfahrens, das zu voreingenommenen Urteilen führen kann und einen Verstoß gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt, die Russland unterzeichnet hat und in der das Recht auf ein faires Verfahren verankert ist, und fordern die sofortige Freilassung dieses Video-Bloggers.“ schreibt Reporter ohne Grenzen.

Jedes Jahr werden immer mehr Fälle von Spionage und Landesverrat bekannt. Das Medienunternehmen Agentstvo schätzt, dass es in den letzten zehn Jahren rund 3.500 solcher Fälle gegeben hat. Die genaue Zahl ist nicht bekannt bzw. wird geheim gehalten. Im Weltindex für Pressefreiheit 2021 der RSF steht Russland auf Platz 150 von 180 Ländern.

Quelle: Reporter ohne Grenzen (RSF), https://www.heute.at/s/youtuber-griff-auf-staatsgeheimnisse-zu-festnahme-100096740

Künstlerin: Maria von Stülpnagel