Nedim Türfent, * Türkei, von 2016 bis 2022 in türkischer Haft

Nedim Türfent, * 1990 Türkei, von 2016 bis 2022 in türkischer Haft

Der kurdische Journalist Nedim Türfent arbeitete für die inzwischen verbotene kurdische Nachrichtenagentur DIHA. 

Im Jahr 2015/2016 gab es in den mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebieten der Türkei gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. In Yüksekova, Türfents Geburtsort, hatten Kurden Barrikaden errichtet und „befreite Zonen“ ausgerufen. Die türkische Armee schlug diesen Aufstand nieder. Der Journalist bekam ein Video zugespielt, in dem ein Sondereinsatzteam der türkischen Polizei auf einer Baustelle Dutzende Bauarbeiter misshandelte und bedrohte. Dabei fielen die Worte: „Ihr werdet die Macht des Türken spüren!“ Türfent veröffentlichte das Video mit dieser Schlagzeile und erhielt anschließend Todesdrohungen. Diese nahm Türfent zum Anlass, Yüksekova in Richtung Van zu verlassen. Türfent wurde am 12. Mai 2016 auf der Fahrt nach Van festgenommen. Erst nach öffentlichem Druck wurde die Festnahme eingeräumt. Der 26-Jährige berichtete von Übergriffen und Drohungen bis hin zur sexuellen Belästigung während der Festnahme.

13 Monate nach Verhängung der U-Haft wurde eine Anklageschrift eingereicht. Nach Darstellung der Zeitung CUMHURIYET stand Türfent anfänglich vor Gericht, weil er unter Verletzung der Ausgangssperre von den Zusammenstößen berichtet hatte. Die Staatsanwaltschaft warf ihm dann vor, über die syrische Kurdenmiliz YPG geschrieben zu haben und daher Propaganda für sie zu betreiben. Und auch, er sei Mitglied in der verbotenen PKK.

Sämtliche Zeugen bis auf eine Ausnahme gaben während der Verhandlungen an, ihre Aussage unter Druck getätigt zu haben, oder dass die schriftlichen Aussagen nicht das enthielten, was sie ausgesagt hätten. Es trat auch ein sogenannter geheimer Zeuge auf, der behauptete, er habe Türfent in einem Lager der PKK gesehen. Diese Aussage wurde allerdings ebenfalls zurückgezogen – weil sie unter Folter erfolgt sei. Einer der Zeugen gab an, ihm seien von Polizisten zwei Zähne gezogen worden. Ein anderer sagte, er habe unterschrieben, „während man meinen Kopf wiederholt auf die Tischplatte knallte“.

Türfent durfte bei den Anhörungen vor Gericht nicht persönlich anwesend sein. Bei der Videozuschaltung funktionierte der Ton nicht, angeblich „aus technischen Gründen“. 

Die Verurteilung des 28-Jährigen zu fast 9 Jahren Haft erfolgte schließlich wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Türfent bestritt dies und äußerte, wie solle er etwas beweisen, was er nie getan habe. Er selbst sieht in der Veröffentlichung des Videos den Grund für seine Verurteilung.

Im Juni 2018 bestätigte das Berufungsgericht das Urteil. Daraufhin riefen die Anwälte Türfents das Verfassungsgericht an. Auch brachten sie den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 

Im Herbst 2020 ernannte das englische PEN-Zentrum den kurdischen Journalisten zum Ehrenmitglied  – als Zeichen der Solidarität. „Die Mitgliedschaft im englischen PEN bedeutet, einer globalen Bewegung anzugehören, die im Glauben an die Freiheit zu lesen und zu schreiben vereint ist. Wir sind stolz und fühlen uns geehrt, Nedim unter unseren Mitgliedern zu haben, und wir werden ihm weiterhin zur Seite stehen, bis er diese Freiheiten vollständig zurückgewinnt“, sagte die Vorsitzende des englischen Autorenverbandes PEN, Maureen Freely.

Nach sechseinhalb Jahren Haft wurde Nedim Türfent im Dezember 2022 aus der Haft entlassen.

Vor dem Gefängnis in Dep (tr. Karakoçan, Provinz Xarpêt/Elazığ) wurde er von Angehörigen und Kolleg:innen begrüßt und gab eine kurze Erklärung ab. „Aus dem Gefängnis zu kommen, betrachte ich nicht als Freiheit“, sagte Türfent, „Freiheit ist etwas anderes.“ Sich außerhalb geschlossener Mauern zu befinden, bedeute nicht Freiheit.

Türfent wies auf die zahlreichen kranken und seit Jahrzehnten inhaftierten Gefangenen in der Türkei hin und sagte:

„Ich bin verhaftet worden, weil meine Berichterstattung die Regierung gestört hat. Seitdem sind Jahre vergangen, aber die Sichtweise der Regierung auf Journalistinnen und Journalisten hat sich nicht geändert. Zuletzt sind neun Kolleginnen und Kollegen in Ankara verhaftet worden. Das zeigt den Blickwinkel, mit dem die Regierung die Medien betrachtet. Ich betrachte es jedoch nicht nur als Regierungsproblem. Auch die Organisationen, die in der Türkei für Menschenrechte eintreten, haben ein Problem. Wenn im Westen ein Journalist verhaftet wird, erfolgt eine Reaktion wie auf einen Weltuntergang. Handelt es sich jedoch um einen kurdischen Journalisten, wird nicht mit der Wimper gezuckt. Das kritisiere ich.“

Seit Juni sind in der Türkei 26 Mitarbeiter:innen kurdischer Medien verhaftet worden. Vor einem Jahr forderten über fünfzig internationale Organisationen seine sofortige Freilassung. Insbesondere die PEN-Gemeinschaft setzte sich für den Journalisten und Dichter ein.

Quelle: Wikipedia, www.anfdeutsch.com/pressefreiheit/nedim-tuerfent-wird-pen-ehrenmitglied-21639, https://anfdeutsch.com/pressefreiheit/nedim-turfent-aus-turkischem-gefangnis-entlassen-35191

Künstler: Fritz Giersbach