Georgi Iwanow Markow, * 1929 Bulgarien, ermordet 1978 in Grossbritannien
Georgi Markow studierte Industriechemie und arbeitete nach dem Studium zunächst einige Jahre in seinem Beruf. Ab seinem 30. Lebensjahr widmete er sich ganz der Literatur. Beeindruckender Start seiner Schriftstellerkarriere war 1962 der Roman „Măže“ (Männer), mit dem er bei der jungen Generation Bulgariens den Nerv traf. Der Roman wurde als ein „kollektives autobiografisches Dokument“ bezeichnet.
Der kritische Geist und der moralische Maximalismus Markows ließen sich jedoch nicht in Übereinstimmung mit den Anforderungen bringen, die für einen Schriftsteller im Sozialismus galten. Immer stärker wurde seine Aversion gegen die Doppelmoral der kommunistischen Funktionäre deutlich sowie gegen die Grausamkeit und Primitivität Todor Schiwkows, des Ersten Sekretärs der Bulgarischen Kommunistischen Partei. Die Zensurbehörden rief er mit einigen seiner Theaterstücken auf den Plan. Seine Stücke wanderten eins nach dem anderen auf den Index, manchmal bereits nach der ersten Vorstellung. Im Sommer 1969, im Satirischen Theater in der Hauptstadt Sofia, nach einer „geschlossenen“ Premiere seines Stückes „Az bjach toj“ (Das war ich) – ausschließlich Parteifunktionäre und treu ergebene Kritiker waren geladen – beschloss Markow, ins Exil zu gehen.
Er emigrierte noch im selben Jahr nach Italien, wo sein Bruder wohnte, lebte auch kurz in West-Berlin, später arbeitete er in London als Journalist.
Die kommunistische Führung seines Heimatlandes kritisierte er öffentlich in den bulgarischen Programmen der BBC und der DEUTSCHEN WELLE. Auf RADIO FREE EUROPE spottete er über den bulgarischen Diktator Todor Schiwkow.
Michail Nedeltschew schrieb auf der Webseite DISSIDENTEN.EU der Bundesstiftung Aufarbeitung weiter: „ Seine Aufgabe im Exil sah Markow darin, seine im sozialistischen Bulgarien zurückgebliebenen Landsleute über den Unterdrückungscharakter und die Verlogenheit des totalitären Systems aufzuklären. Vertreter der bulgarischen Machthaber und der Geheimdienste warnten ihn mehrfach und riefen ihn dazu auf, seine antikommunistische Tätigkeit einzustellen. Die Warnungen betrafen in erster Linie seine Radiosendung „Fernreportagen aus Bulgarien“, die 1977/78 wöchentlich von RADIO FREE EUROPE ausgestrahlt wurde. In Bulgarien verfolgte man die Sendung aufmerksam; sie spielte eine entscheidende Rolle für die Herausbildung antikommunistischer Überzeugungen und oppositioneller Haltungen zahlreicher Bulgaren. (…) Markows Exilarbeit bestand hauptsächlich in einer aufklärerischen Enthüllungspublizistik, aber nicht nur. (…) Er schrieb auch weiter Erzählungen (…) Zugleich hatte er ein sehr kritisches Verhältnis zur Moral der osteuropäischen Exilanten, die sich in einer gewissen destruktiven Missgunst, in Rivalität und Intrigantentum äußerte. (…) In den Rundfunksendungen an seine Landsleute bemühte er sich wiederum, den Westen nicht zu idealisieren, unterstrich aber sehr wohl dessen Vorzüge, insbesondere die herrschende Freiheit. Die Reportagen Markows gewannen im Laufe der Zeit zunehmend an Schärfe und waren den bulgarischen Machthabern ein immer größerer Dorn im Auge. Die Entscheidung zu Markows Ermordung wird in Bulgarien auf oberster Entscheidungsebene gefallen sein.“
Von Anfang wurde jeder seiner Schritte im Exil vom bulgarischen Geheimdienst streng überwacht. Nach drei Jahren, 1972 inszenierten die Behörden in Sofia gegen Markow einen Prozess in Abwesenheit. Er wurde zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er sich angeblich „fremden Organisationen, die der Volksrepublik Bulgarien schaden, angedient“ und weil er „um die Volksmacht zu schwächen, Kommentare und Essays mit verleumderischem Inhalt über die Staats- und Gesellschaftsordnung verfasst“ habe. In den Folgejahren konnte allein schon die öffentliche Erwähnung seines Namens zu Verfolgungsmaßnahmen führen.
Am 7. September 1978, dem Geburtstag des bulgarischen Diktators Schiwkow, befand sich der inzwischen 50-jährige Markow auf der Waterloo Bridge in London, als er Opfer eines Attentats mit einem Regenschirm wurde: ein Mann stach ihm mit einem Regenschirm eine imprägnierte kleine Kugel, die sich an dessen Spitze befand, in die rechte Wade. Die Kugel aus einer Platin-Iridium-Legierung hatte einen Durchmesser von 1,52 mm und war mit etwa 200 Mikrogramm der hochgiftigen Substanz Rizin präpariert. Markow starb qualvoll vier Tage später in einem Londoner Krankenhaus.
Als Täter wurde ein Agent des bulgarischen Geheimdienstes namens Francesco Giullino (Deckname Piccadilly) verantwortlich gemacht. Der frühere Generalmajor des sowjetischen Geheimdienstes Oleg Kalugin bestätigte in einem Interview, dass dieses Attentat aufgrund eines Befehls Todor Schiwkows ausgeführt wurde. Der sowjetische Geheimdienst KGB lieferte das Gift und die Kapsel.
Markows Tod brachte das Interesse an ihm keinesfalls zum Erliegen, ganz im Gegenteil: Der Dichter und sein Werk wurden nun zur Legende, und das nicht nur in Bulgarien. RADIO FREE EUROPE strahlte weiterhin Lesungen seiner Texte aus, seine „Fernreportagen aus Bulgarien“ erschienen 1980/81 in der Schweiz in Buchform. Viele Exemplare wurden bis nach Bulgarien geschmuggelt, wo sie von Hand zu Hand gingen. Eine Auswahl der Reportagen erschien auch in Frankreich, Großbritannien und den USA.
Nach dem demokratischen Wandel 1989 erklärte der nun weitgehend entmachtete Staatssicherheitsdienst plötzlich, Markow sei einer ihrer Agenten gewesen, sein Exil eine Dienstreise und seine Ermordung eine interne Angelegenheit der Geheimdienste. Ähnliches behauptete auch der ehemalige Parteichef Schiwkow in einem Interview für den bulgarischen Rundfunk wenige Monate vor seinem Tod 1998. Archivrecherchen in den überlieferten Dokumenten gaben jedoch keinerlei Grund zu der Annahme, dass eine solche Zusammenarbeit bestanden hatte. Allerdings hatte der ehemalige Geheimdienstchef Wladimir Todorow 1990 nach der Revolution gegen die kommunistische Diktatur sechs Markow-Akten vernichtete; er behauptete später, diese Unterlagen hätten keine operative oder historische Bedeutung gehabt. Todorow kam 1992 dafür 16 Monate ins Gefängnis; ein wichtiger Zeuge beging kurz vor seiner Vernehmung Suizid. 1999 wurden die Ermittlungen zu diesem Fall eingestellt.
Das Wirken und Schaffen Georgi Markows ist seit dem Ende des Kommunismus in Bulgarien vollständig rehabilitiert. Postum wurde er im Jahr 2000 mit dem höchsten bulgarischen Orden “Stara Planina“ ausgezeichnet. Am 11. November 2014 wurde im Zentrum von Sofia eine Statue von ihm eingeweiht.
Quelle: Wikipedia, dissidenten.eu (Bundesstiftung Aufarbeitung)
Künstlerin: Susanne Köhler
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