Elyas Dayee, *1987 Afghanistan, ermordet 2020 Afghanistan

Elyas Dayee, *1987 Afghanistan, ermordet 2020 Afghanistan

Der Radioreporter Elyas Dayee arbeitete als Lokaljournalist in der sehr gefährlichen afghanischen Provinz Helmand und war für seine Berichterstattung über die dort herrschenden Konflikte bekannt. Schon 10 Jahre lang arbeitete er als sogenannter „Fixer“ (Informationsbeschaffer, Türöffner und Kulturvermittler) für RADIO AZADI, dem afghanischen Ableger von RADIO FREE EUROPE / RADIO LIBERTY. Diese Sender werden von den USA finanziert. Als Mitarbeiter westlicher Medien lebte er gefährlich und erhielt wegen seiner Arbeit im Sommer 2020 Morddrohungen von den Taliban.

Am 12. November 2020 war der 33-jährige Dayee auf dem Weg von seinem Haus in der südafghanischen Provinzhauptstadt Lashkarghan zu seiner Arbeit. Eine Haftbombe, die an seinem Auto befestigt war, explodierte und tötete den Journalisten. Drei weitere Personen wurden bei dem Anschlag verletzt: Dayees Bruder und ehemaliger DEUTSCHE WELLE Reporter Mojtaba Mohammadi, ein Kind und ein weiterer Mann. Zunächst bekannte sich niemand zu dem Mordanschlag.

„Er war ein Gentleman. Er hatte immer ein unverwechselbares Lächeln. Dies ist eine schreckliche Nachricht. Elyas, wir werden dich in guter Erinnerung behalten“, schrieb sein Büroleiter Sami Mahdi.

In einem Nachruf reflektiert der Journalist Emran Feroz die Rolle von „Fixern“ im Journalismus:

„…Dayee ist der zweite afghanische Journalist, der innerhalb einer Woche getötet wurde. Kurz zuvor wurde Yama Siawash, der einst beim afghanischen Privatsender TOLO NEWS tätig war, durch einen Anschlag in der Hauptstadt Kabul getötet. Zu unterstreichen ist in diesem Kontext, dass alle Kriegsakteure gegen Medienschaffende, Intellektuelle und Dissidenten vorgehen. Dies betrifft nicht nur die Taliban, die von der westlichen Berichterstattung die meiste Aufmerksamkeit erhalten, sondern mittlerweile auch die afghanische IS-Zelle und auch die afghanische Regierung sowie ihre Sicherheitsorgane, allen voran ihren Geheimdienst, den NDS (National Directorate of Security), sowie einzelne afghanische Milizen, die im Laufe des Krieges von der CIA geschaffen wurden und bis zum heutigen Tage subventioniert werden, während sie jegliche Straffreiheit genießen. Es liegt nahe, dass einer der genannten Akteure Dahee auf dem Gewissen hat. Allerdings hat seine Ermordung eine weitere Debatte ausgelöst, die hoffentlich erhalten bleibt und auch in Zukunft geführt wird, nämliche jene über den Umgang mit afghanischen Lokaljournalisten, die als sogenannte Fixer von ihren privilegierten, westlichen Kollegen oftmals in vielerlei Hinsicht ausgebeutet werden.

Bei Fixern handelt es sich im journalistischen Jargon um Personen, die vor allem in Kriegsregionen sowie in Ländern des Globalen Südens ausländischen – meist westlichen – Journalisten Zugang zu gewissen Themen, Regionen und Personen ermöglichen, oftmals unter Einsatz des eigenen Lebens. In vielen Fällen agieren Fixer auch als Übersetzer und kulturelle Brückenbauer. Trotz seiner Professionalität wurde auch Dahee von seinen westlichen Kollegen als ein Fixer betrachtet, der ebenjenen Zugang ermöglichte. Immerhin lebte und arbeitete er in Helmand, das seit Jahren zu den bekanntesten Unruheherden Afghanistans gehört und in regelmäßigen Abständen kurz vor der kompletten Taliban-Eroberung stand.

Kurz nach Dahees Tod meldeten sich zahlreiche nicht-afghanische Journalisten, Wissenschaftler und Aktivisten in den Sozialen Medien zu Wort. Sie drückten ihr Beileid aus und bedankten sich gleichzeitig ein letztes Mal für die „gemeinsame Mitarbeit“. Dies machte allerdings stutzig. In all den Berichten und Fallstudien von namhaften Medien und Institutionen, die ebenjene Personen vertreten, konnte man nämlich so gut wie nirgends den Namen Elyas Dayee finden. In einigen Fällen hat diese Anonymität Sicherheitsgründe. Auch ich habe Kollegen vor Ort, die im Gegensatz zu mir dort nicht nur arbeiten, sondern eben auch leben und aufgrund ihrer Arbeit stets gefährdet sind. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es um prekäre Themen geht, die mächtige Personen und Gruppierungen betreffen, die nicht davor zurückschrecken, Journalisten zu töten. In solchen Fällen ist eine Anonymisierung nachvollziehbar und absolut notwendig. Doch in vielen Fällen – und da bin ich mir ziemlich sicher – hat Dayees Unsichtbarkeit allerdings nicht nur damit zu tun, sondern auch mit der Tatsache, dass der westliche Kollege sich einfach selbst in den Vordergrund stellen wollte.

Dies gehört leider seit Jahren zum Alltag in Afghanistan und anderswo. Menschen wie Dayee machen die Hauptarbeit und riskieren ihr Leben, während Lob, Anerkennung und sogar auch Preise – wie die Relotius-Affäre in Deutschland deutlich gemacht hat – in London, Washington oder Berlin von anderen eingeheimst werden. … Elyas Dayee war jemand, der mutig sein Leben riskierte und dem wir viele Einblicke zu verdanken haben. Umso trauriger ist die Tatsache, dass sein Name aufgrund des Egoismus’ und der Selbstinszenierung anderer erst nach seiner Ermordung berühmt wurde.“

Quelle: Voice of America, Reporter ohne Grenzen, CPJ, afjc.af, https://www.buchkomplizen.de/blog/auslandsbericht/nach-dem-tod-von-elyas-dahee/

Künstlerin: Susanne Köhler