Tsering Woeser, *1966 in China / Tibet, wiederholt in China an der Arbeit gehindert

tsering woeser ist eine tibetische Bloggerin aus der VR China. Sie wurde mehrfach verfolgt und an ihrer Arbeit gehindert.

Tsering Woeser, *1966 in China / Tibet, wiederholt in China an der Arbeit gehindert

Tsering Woeser ist eine chinesische Schriftstellerin, Dichterin, regimekritische Essayistin tibetischer Nationalität und seit 2005 Bloggerin.

Tsering Woeser wagt es, sich in China kritisch über heikle Themen zu äußern. Die chinesischen Behörden sehen sie deshalb als Bedrohung und halten sie und ihre Besucher unter Beobachtung. In der westlichen Welt wird sie für ihren journalistischen Mut bewundert und wurde vielfach ausgezeichnet. Ihre Essays und Gedichte enthalten facettenreiche und manchmal brutale Details des täglichen Lebens in Tibet. Der Tibetologe Robert J. Barnett beispielsweise beschreibt sie als „eine Dichterin, die vergessen hat, Angst zu haben.“ Außerhalb der Volksrepublik China ist sie eine wichtige Informationsquelle über das heutige Tibet.

Als Woesers Vater, überzeugter Maoist und Offizier der chinesischen Volksbefreiungsarmee 1991 starb, fand die Tochter eine Biografie des Dalai Lama mit Eselsohren in seinem Bücherschrank. Der Vater war ihr zufolge so wie viele andere Tibeter im Staatsdienst: „Sie sind innerlich zerrissen. Wir nennen sie Menschen mit zwei Köpfen.“ Tsering Woeser war zunächst selbst überzeugte Anhängerin des Großen Vorsitzenden Mao Zedong. Zweifel an dieser politischen Überzeugung kamen ihr, als sie an die „Südwest-Universität für nationale Minderheiten“ in Chengdu ging, die Hauptstadt des an Tibet grenzenden Sichuan. Hier gehörte sie erstmals einer Minderheit an und fühlte sich oft diskriminiert.

Ende der 1980er Jahre promovierte Frau Woeser in Chengdu in Chinesischer Literatur.

In Chengdu las sie die verbotene Biografie des vierzehnten Dalai Lama und das Buch „In Exile from the Land of Snows” von John Avedon. Darin beschreibt er, wie Tibeter als Buddhisten unterdrückt werden und in China als Verbannte untergehen. Sie las darin Dinge, die allem, was sie gelernt hatte, entgegenstanden.

Nach ihrem Studium kehrte sie 1990 wieder nach Lhasa zurück, wo sie Redakteurin der staatlichen Zeitschrift TIBETISCHE LITERATUR wurde. In dieser Zeit wurden Proteste hart niedergeschlagen. Tsering Woeser traf Mönche, die ihr von den Protesten1989  und anschließenden strengen Maßregelungen berichteten. Diese Gespräche machten ihr die Gräuel der chinesischen Vorherrschaft bewusst und führten zu ihrem Entschluss, diese als Schriftstellerin zu bekämpfen.

2003 veröffentlichte sie eine Sammlung von Essays, die das Ende ihrer Karriere als Redakteurin einläutete. Sie äußerte sich lobend über geistige Führer wie den vierzehnten Dalai Lama, indem sie beispielsweise schrieb, dass der Dalai Lama als spiritueller Führer von den Tibetern verehrt, aber von der chinesischen Führung verleumdet wird. 

Woeser gibt ihre Bücher in der Amtssprache Mandarin heraus. Sie schrieb dutzende Bücher mit Gedichten, Erzählungen oder Essays, darunter ihren ersten Gedichtband mit dem Titel „Tibet lebe”. Ihre Bücher werden übersetzt ins Tibetische, Japanische, Englische, Französische, Deutsche, Polnische, Spanische und Katalanische.

Ihr berühmtestes Buch „Notizen über Tibet“ mit 38 kurzen Reisegeschichten wurde im September 2003 von der Regierung des “Autonomen Gebietes Tibet“ verboten. Es wurde in einer Auflage von 11.000 Exemplaren verlegt. Auch andere Bücher kamen auf die schwarze Liste und es wurde ihr verboten, weitere Bücher zu veröffentlichen.

2004 wurde sie aus dem Staatlichen Schriftstellerverband ausgeschlossen, weil sie ihre „politischen Fehler“ nicht erkennen wollte. Ihr wurde gekündigt und sie wurde gezwungen, zur „Umerziehung“ nach Peking zu ziehen. Das bedeutete, dass sie regelmäßig verhaftet und psychisch misshandelt wurde. Weil sie wiederholt ihre große Bewunderung für Wang Lixiong, einen der bekanntesten Schriftsteller Chinas, ausgesprochen hatte, führten Freunde ein Treffen zwischen ihnen herbei. Ein Jahr später heirateten die Beiden.

Auch Woesers Familie wurde bedroht, verhaftet und zu ihrer Arbeit verhört. 

2005 begann Woeser einen Blog über Themen, die in Tibet kaum zur Sprache kommen: AIDS, Prostitution, Umweltschäden und die Eröffnung der Peking-Lhasa-Bahn 2006, die die Region mit chinesisch-stämmigen Einwanderern überschwemmt.

Sicherheitsbeamte überwachten ihre Wohnung und die chinesischen Behörden schlossen mehrmals ihren Weblog.

2006 veröffentlichte Woeser Fotos, die ihr Vater während der Kulturrevolution (1966–1976) gemacht hatte unter den Titeln „Töten und Ausrauben: Vier Jahrzehnte verbotene Erinnerungen, die Kulturrevolution in Tibet unter die Lupe genommen“ und „Erinnerung an Tibet“. Die Fotos zeigten z. B. Soldaten der Roten Garde, die tibetischen Mönchen Schnurrbärte auf die Oberlippe malten, und Tibeter, die auf einen Lkw geladen wurden, um zu Feldern geführt zu werden, wo sie umgebracht wurden. Diese Bücher wurden außerhalb der Volksrepublik China in Taiwan veröffentlicht.

Menschen, auf die sie zunächst bauen konnte, weil sie sie über die aktuellen Ereignisse und die Situation in Tibet auf dem Laufenden hielten, wagten ihr 2010 aus Angst vor Vergeltung durch die chinesische Regierung nichts mehr zu erzählen. Mindestens 13 von ihnen wurden verhaftet.

Woeser wurde nicht dauerhaft verpflichtet, in Peking zu bleiben, zusammen mit ihrem Mann unternimmt sie jedes Jahr lange Wanderungen durch tibetische Gebiete. Für sie ist Peking nunmehr eine praktische Wahl geworden, weil sie dort weniger ausspioniert wird als in Lhasa. „Ich bin hier, wie Ai Weiwei, nur ein Künstler, eine einsame, kleine Stimme. Manchmal werden wir verhaftet, manchmal werden wir eingeschüchtert, aber wirklich bedrohlich sind wir nicht.“

Ihr inzwischen vierter Weblog auf einem ausländischen Server war eine der wenigen Informationsquellen des Westens während der tibetischen Unruhen 2008. In den Tagen um den Jahrestag des Tibetaufstandes von 1959 (10. März) wurden sie und ihr Mann von den chinesischen Behörden unter Hausarrest gestellt.

Nach der Veröffentlichung von Fotos patrouillierender Soldaten auf ihrem Weblog wurde Woeser am 21. August 2008 von acht Polizisten aus dem Haus ihrer Mutter abgeholt und acht Stunden lang verhört. Das Laptop ihres Mannes wurde aufgebrochen und ein Teil seiner Festplatte gelöscht. Daraufhin bat ihre Mutter sie flehentlich, die elterliche Wohnung zu verlassen, denn sie habe Angst um ihre eigene Sicherheit. Laut Woeser war dies einer der herzzerreißendsten Augenblicke ihres Lebens.

Im Dezember 2008 waren sie und ihr Mann Wang unter den ersten Unterzeichnern des Demokratiemanifests „Charta 08“. Dessen Verfasser, Liu Xiaobo, erhielt eine elfjährige Gefängnisstrafe. Er wurde 2010 mit dem Friedensnobelpreis geehrt.

2009 brachte die „International Campaign for Tibet“ ihr Buch „Like gold that fears no fire − New writing from Tibet” online heraus, mit Essays und Gedichten, die in China verboten sind. Im gleichen Jahr schrieben Wang Lixiong und Woeser in ihrem Weblog eine Petition zur Freilassung des Regimekritikers und Bloggers Ilham Tohti, Hochschullehrer an der „Schule für Wirtschaftswissenschaften“ der „Zentralen Nationalitäten-Universität” in Peking. Dieser gehört der ethnischen Minderheit der Uiguren an und kritisierte insbesondere die Siedlungspolitik in Bezug auf die Han-Chinesen.

Hackern der regierungsnahen „Chinese Hongke Alliance“ gelang es, ihren Weblog zu knacken und Zugang zu ihren Logindaten zu erhalten, nachdem sie ihr eine mit Computerviren verseuchte E-Mail gesandt hatten. Sie leerten ihren Weblog und plazierten ein Abbildung der Flagge der Volksrepublik China verbunden mit einem Gewaltaufruf gegen Woeser. Dennoch eröffnete Woeser von Neuem ihren nunmehr fünften Weblog. Das Hosting erfolgte 2011 aus dem Ausland von einem Server, der nur mit besonderer Software erreicht werden kann.

Woeser hatte seit 2005 mehrfach versucht, einen Reisepass zu beantragen, der Pass wurde ihr aber in den folgenden Jahren wiederholt verweigert. Um zu erzwingen, dass sie außerhalb ihres Landes reisen könnte, reichte sie 2008 eine Klage gegen den chinesischen Staat ein – ein in China ungewöhnlicher und mutiger Schritt. In einem Interview mit der New Yorker Nachrichtenagentur ASSOCIATED PRESS erzählte sie, dass sie nicht zu gewinnen glaubt, aber dass sie es als Gelegenheit sieht, um über die jahrelange unlautere Behandlung der Tibeter zu sprechen und die Außenwelt über die Wahrheit ins Bild zu setzen. Für Tibeter ist es beinahe unmöglich, einen Pass zu erhalten, weshalb viele ihr Leben riskieren, indem sie über den Himalaya nach Nepal und Indien flüchten. In Tibet werden Prozesse regelmäßig verschoben, weshalb Woesers Klage drei Jahre später immer noch nicht zur Verhandlung gekommen war.

2014 wurde sie am 8. Juli nach der Rückkehr von einer Reise in den Norden Chinas aus zunächst unbekannten Gründen unter Hausarrest gestellt. Es gibt Vermutungen, dass dies im Zusammenhang mit einer Einladung zum Abendessen in die US-Botschaft in Peking aus Anlass eines Routinebesuchs von US-Außenminister John Kerry in China stand. Kerry gilt als großer Bewunderer der Schriftstellerin.

Tsering Woeser hat zahlreiche bedeutende internationale Auszeichnungen erhalten. Wegen der großen Zahl dieser Auszeichnungen wird auf eine Dokumentation an dieser Stelle verzichtet.

International erhält sie weiterhin Unterstützung, zum Beispiel von dem internationalen Autorenverband P.E.N., der auf den „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte” verweist, der von China unterzeichnet wurde. Der P.E.N. rief seine regionalen Abteilungen auf, ausführlich auf Woesers Situation aufmerksam zu machen.

Tsering Woeser ist in verschiedenen Dokumentarfilmen zu sehen, wie „Tibet: 50 Years After The Fall (2009)“ von den Regisseuren Ritu Sarin und Tenzin Sönam und „Preparing Tibet For the Olympics” vom britischen CHANNEL 4.

Quellen:

https://de.wikipedia.org

https://taz.de

https://www.pen-deutschland.de

Künstler: Fritz Giersbach