Jean Dominique, * 1930 Haiti, ermordet 2000 Haiti

Jean Dominique, * 1930 Haiti, ermordet 2000 Haiti

Jean Léopold Dominique war ein haitianischer Journalist und bekannter Aktivist für Menschenrechte und Demokratie in Haiti. Sein Sender RADIO HAITI-INTER war der erste, der Nachrichten, investigative Berichte und politische Analysen in haitianischem Kreolisch ausstrahlte, der Sprache, die von der Mehrheit der haitianischen Bevölkerung gesprochen wird. Am 3. April 2000 wurde er ermordet, als er zur Arbeit bei Radio Haiti-Inter kam. Nach umfangreichen, aber turbulenten Ermittlungen gelang es nicht, die Haupttäter offiziell zu identifizieren und vor Gericht zu stellen; sie sind weiterhin auf freiem Fuß.

Jean Dominiques Vater war Händler und begleitete als Kind seinen Vater häufig auf Reisen durch die haitianische Landschaft, wodurch er das Leben und die Kämpfe der Bauern kennen und verstehen lernte. Seine älteste Schwester, Madeleine Dominique Paillère, war eine bekannte Autorin und Intellektuelle.

1951 schloss er ein Studium ab und erhielt anschließend ein Stipendium in Paris zur Erforschung gentechnisch veränderter Kakao- und Kaffeepflanzen 1955 kehrte er nach Haiti zurück, verließ seine schwangere Freundin und arbeitete als Agronom, vor allem im Bereich der Sisal- und Gummiproduktion. Ein Kollege von ihm wurde später vom Duvalier-Regime verhaftet und getötet, weil er sich für die Rechte der Bauern eingesetzt hatte. Dominiques älterer Bruder war Offizier in der haitianischen Armee und wurde 1958 bei dem Versuch getötet, den damaligen Präsidenten François Duvalier zu stürzen. Dominique arbeitete zu dieser Zeit mit den „ti peyizan“ zusammen, um ihre Landrechte gegen lokale duvalieristische Behörden und reiche Landbesitzer zu verteidigen. Er wurde einige Wochen nach dem Umsturzversuch seines Bruders verhaftet und verbrachte sechs Monate im Gefängnis. Nach seiner Entlassung durfte er nicht mehr als Agrarwissenschaftler arbeiten und wurde stattdessen Journalist.

Anfang der 1960er Jahre, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, arbeitete Dominique als Moderator und Kulturkommentator beim ersten unabhängigen Radiosender Haitis, RADIO HAITI. Er führte Interviews mit Schriftstellern und Gelehrten. 1968 übernahm er den Sender und benannte ihn in RADIO HAITI-INTER um. Es war der erste Radiosender in Haiti, der politische Analysen, Interviews und investigative Berichte in haitianischem Kreolisch ausstrahlte, der Sprache, die von der gesamten haitianischen Bevölkerung gesprochen wurde, zusätzlich zum Französischen, das die Sprache der herrschenden Elite war.

In den 1960er Jahren gründete Dominique auch den ersten Filmclub Haitis am Institut Français in Port-au-Prince, den er als eine Möglichkeit verstand, die politischen Repressionen der Duvalier-Diktatur zu unterwandern und Widerstand zu leisten. 

1965 wurde der Filmclub nach einer Vorführung von „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais, einem antifaschistischen Film über die Konzentrationslager der Nazis, verboten. 

1961 führte Dominique bei dem ersten haitianischen Dokumentarfilm „Mais, je suis belle (Aber ich bin schön)“, einem ironischen Film über karibische Schönheitswettbewerbe, Regie und war auch als Sprecher tätig. Dominique war überzeugter Verfechter des haitianischen Films und arbeitete mit haitianischen Filmemachern wie Rassoul Labuchin zusammen.

Dominique war mit der Journalistin Michèle Montas verheiratet, die nach Dominiques Ermordung Ko-Direktorin von RADIO HAITI wurde.

In den 1970er Jahren nutzte Jean Dominique seinen Radiosender, um Aspekte der haitianischen Kultur hervorzuheben, die in der kreolisch-sprachigen Mehrheit verwurzelt ist und fast zwei Jahrhunderte lang von der französischsprachigen Elite unterdrückt wurde. 

Dominique und RADIO HAITI berichteten auch zunehmend über Ereignisse, die das Regime von Jean-Claude Duvalier in Frage stellten, oft strategisch und indirekt, um die Zensurgesetze des Regimes zu umgehen. So berichtete RADIO HAITI 1972 wochenlang über den Sturz des Diktators von Nicaragua, Somoza, um stellvertretend über Duvalier zu sprechen. 

In den Jahren 1973 und 1976 berichtete Dominique von der jährlichen Vodou-Wallfahrt in Saut-d’Eau über die Klagen und Bitten der Gläubigen an die Geister: eine implizite Art, über den bäuerlichen Widerstand zu sprechen: 

„Wir waren unter Jean-Claude Duvalier, wir waren unter [hochrangigen Macoutes wie] Luc Désir, Jean Valmé, Luckner Cambronne und Co. Wir waren unter den Tigern! erklärte Dominique später. „Die Menschen breiteten ihre Arme vor dem Wallfahrtsort aus, blickten zur Kirche und schilderten ihr Elend. Sie schilderten ihre Unterdrückung, wie das Leben aus ihnen herausgepresst wurde. Sie beschrieben, wie alles zerstört wurde. Sie buchstabierten das alles durch. Sie beschrieben es in einer Litanei, stundenlang. Tagelang.“

Da die haitianische Regierung auf die Hilfe der Vereinigten Staaten angewiesen war, hatte Duvalier kaum eine andere Wahl, als sich an bestimmte Menschenrechtsregeln und -grundsätze zu halten, solange Jimmy Carter Präsident war. Als Carters Amtszeit zu Ende ging, wurde Duvaliers Widerstand gegen die freie Presse jedoch immer deutlicher. Im Oktober 1980 verkündete er, dass die unabhängige Presse „le bal est fini“ (das Fest ist vorbei). Dominique, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte, antwortete mit einem seiner berühmtesten Leitartikel mit dem Titel „Bon appétit, messieurs“, der an die Journalisten der staatlichen Presse gerichtet war. 

„Für Sie wird das Bankett fortgesetzt. Und Sie werden keinen Misston hören, keinen Lärm, der Ihren Appetit stören könnte. Sie werden nicht durch die Schreie der Armen, die Schreie der von Haien verschlungenen Boatpeople, die Schüsse, die unsere (…) Brüder (die Zuckerrohr-Arbeiter) in Santo Domingo oder in Nassau oder La Romana töten, von Ihrem reichhaltigen Festmahl abgelenkt… Nein, ihr werdet diese unangenehmen Geräusche nicht hören, die euer Essen stören und euch am Feiern hindern könnten – es wird nur Stille herrschen… Sie können also in aller Ruhe feiern, meine Herren! In aller Ruhe! Und in dieser tiefen Stille: Bon appétit, messieurs!“

Am 28. November 1980, kurz nachdem Ronald Reagan die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte, ging Duvalier gegen die unabhängige Presse, Menschenrechtsaktivisten und Gewerkschaftsführer in Haiti vor. Duvaliers Miliz plünderten und zerstörten auch die Studios von RADIO HAITI. Fast alle Journalisten des Senders wurden verhaftet; einige, darunter der Leiter des Senders Richard Brisson, wurden gefoltert. Die meisten wurden innerhalb weniger Tage freigelassen und dann ins Exil geschickt. Es wurde angeordnet, Jean Dominique auf der Stelle zu töten. Er verbrachte zwei Monate im Asyl in der venezolanischen Botschaft, bevor er zu Lebensgefährtin Montas nach New York zog, wo sie 1983 heirateten.

Am 5. März 1986, weniger als einen Monat nach dem Sturz Duvaliers, kehrten Dominique und Montas nach Haiti zurück und wurden am Flughafen von fast 60.000 Menschen begrüßt. Im Oktober desselben Jahres wurde RADIO HAITI mit Geldern, die von der haitianischen Bevölkerung gesammelt worden waren, wiedereröffnet.

In den späten 1980er Jahren, als Haiti mehrere Militärputsche über sich ergehen lassen musste, setzte sich Dominique weiterhin für die demokratische Teilhabe, die Menschenrechte und die Rechte der Bauern sowie für die Entfernung der Duvalier- und Macoute-Elemente aus der Regierung und der Armee ein. So widmete er beispielsweise dem Massaker an Bauern durch Großgrundbesitzer und Macoutes in Jean Rabel im Juli 1987 viel Sendezeit und zahlreiche Analysen. Die ersten demokratischen Wahlen in Haiti waren für den 29. November 1987 angesetzt, wurden aber von der Armee gewaltsam unterdrückt. Sie metzelten Wähler in Ruelle Vaillant nieder und zerstörten die Wahlbüros im ganzen Land. An diesem Tag wurde RADIO HAITI auf Befehl von Williams Régala bewaffnet angegriffen; Dominique und die anderen Journalisten standen auf dem Dach und warfen Steine und Flaschen, während die Armee Maschinengewehre und Granaten abfeuerte.

Dominique war ein früher Anhänger der Lavalas-Bewegung und von Jean-Bertrand Aristide, dem Gemeindepfarrer und erklärten Verfechter der Befreiungstheologie. RADIO HAITI berichtete über das Massaker vom 11. September 1988, bei dem Attachés auf Befehl des Bürgermeisters von Port-au-Prince, Franck Romain, Gemeindemitglieder in Aristides Kirche St. Jean Bosco massakrierten. Auch interviewte er Aristide mehrmals als Priester und als Präsidentschaftskandidat sowie schließlich nach seinem Sieg bei den ersten demokratischen Wahlen in Haiti im Dezember 1990.

Als das Militär unter Raoul Cédras im September 1991 die Regierung von Jean-Bertrand Aristide stürzte, musste RADIO HAITI erneut schließen. Dominique und Montas gingen erneut ins Exil nach New York und versuchte von dort aus , sich für eine ordnungsgemäße Verfassung in seinem Heimatland einzusetzen. Außerdem arbeitete er mit dem amerikanischen Filmemacher Jonathan Demme an den Interviews, aus denen schließlich der Dokumentarfilm „The Agronomist“ entstand, und an einem unvollendeten Projekt über die Geschichte des haitianischen Films. Im Juni 1993 gehörte Dominique zur Entourage von Aristide beim Treffen auf Governors Island zwischen der demokratisch gewählten Exilregierung und den Führern der Militärjunta. Dominique kehrte 1994, nach Aristides Rückkehr an die Macht, nach Haiti zurück und eröffnete im folgenden Jahr RADIO HAITI neu.

In den letzten Jahren seines Lebens konzentrierte sich Dominique auf Fragen der staatlichen Korruption und der organisierten Kriminalität. Er ermittelte gegen das Pharmaunternehmen „Pharval Laboratories“ wegen des Verkaufs von mit Diethylenglykol verseuchtem Hustensaft, der für die Vergiftung von zweihundert Kindern verantwortlich war – sechzig starben. Er prangerte auch die Einfuhr von Ethanol in medizinischer Qualität an, das als gefälschter Clairin (hochprozentiger, nicht destillierter Zuckerrohrschnaps) verkauft wurde und die Menschen, die es konsumierten, krank machte und tötete, während es gleichzeitig die Löhne der haitianischen Zuckerpflanzer und Destillateure in Gefahr brachte.

Als Journalist, der Wert auf seine eigene politische Objektivität und die seiner Mitarbeiter legte, bemühte sich Dominique, in seiner beruflichen Tätigkeit unparteiisch zu bleiben. Er unterstützte jedoch nachdrücklich Bauernrechtsgruppen, insbesondere KOZEPEP, dessen Anführer, Charles Suffrard, ein enger Freund und Mitarbeiter von Dominique war. Obwohl Dominique als Privatmann ein früher Unterstützer der linken Lavalas-Bewegung von Aristide war, ermittelte er später gegen Aristide und andere Parteimitglieder wegen Korruption und Veruntreuung von Regierungsgeldern. Es sah ihr Verhalten als Verrats an den Versprechen den drei Eckpfeilern der Lavalas-Bewegung: Partizipation, Gerechtigkeit und Transparenz.

In einem spannungsgeladenen Interview mit Face à l’Opinion vom 16. Dezember 1996 befragte Dominique den ehemaligen Präsidenten Aristide zur staatlichen Korruption. Dominique nahm auch den ehemaligen Polizeichef Dany Toussaint aufs Korn, weil der versucht hatte, nach der Ermordung seines Konkurrenten um den Posten des Staatssekretärs für öffentliche Sicherheit, Jean Lamy, die Kontrolle über den Sicherheitsapparat des Landes zu übernehmen. Daraufhin umzingelten Toussaints Anhänger das Gebäude des Senders und griffen es an. 

Im Februar 2000 sprachen Toussaints Anwälte offene Morddrohungen gegen Jean Dominique und Michèle Montas aus. Dies veranlasste Dominique, in einem Leitartikel zu erklären: 

„Ich weiß, dass [Toussaint] das Geld hat, um seine Anhänger zu bezahlen und zu bewaffnen. Hier habe ich keine andere Waffe als meine journalistische Feder! Und mein Mikrofon und meinen unauslöschlichen Glauben als Kämpfer für den wahren Wandel!… Wenn Dany Toussaint noch irgendetwas gegen mich oder den Sender unternimmt, werde ich, wenn ich noch lebe, den Sender schließen, nachdem ich diese Manöver ein weiteres Mal angeprangert habe, und ich werde mit meiner Frau und meinen Kindern erneut ins Exil gehen.

Am 3. April 2000 wurde Dominique im Alter von 69 Jahren mit vier Schüssen in die Brust und den Hals getötet, als er zur Arbeit bei RADIO HAITI kam. Ein Mitarbeiter des Senders, Jean-Claude Louissaint, wurde bei dem Anschlag ebenfalls getötet. Präsident René Préval ordnete eine dreitägige Staatstrauer an, und 15 000 Menschen, darunter 10 000 Bauern, nahmen am 8. April an der gemeinsamen Beerdigung teil. 

Am 15. April versammelten sich mehr als 5.000 Bauern aus dem Artibonite in Pont Sondé, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, und am folgenden Tag wurde Dominiques Asche am Passe Caneau in den Artibonite-Fluss gestreut, damit, wie Charles Suffrard sagte, Dominique weiterhin jedes Reiskorn nähren kann, das der Fluss erreicht.

In den Jahren nach der Ermordung von Dominique veranstalteten zivilgesellschaftliche Gruppen in Haiti große öffentliche Proteste und Sit-ins, um Gerechtigkeit für Dominique und Louissaint zu fordern. Internationale Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International und Reporter ohne Grenzen, starteten jahrelange Kampagnen, um Gerechtigkeit für Jean Dominique zu fordern.

Bei den Ermittlungen zu den Morden gab es mehrere Behinderungen und Unregelmäßigkeiten, die von der Polizei, dem Parlament und der Exekutive ausgingen. 

Im Jahr 2000 drohten bewaffnete Anhänger des Hauptverdächtigen Dany Toussaint, das Gerichtsgebäude in Brand zu setzen.

2001 beantragte Toussaint (damals amtierender Senator für die Partei Linkspartei „Fanmi Lavalas“) parlamentarische Immunität, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen, was der Senat nicht aufheben wollte. Der Präsident des Senats, Yvon Neptune, erklärte, dass ein „kleiner Richter“ einen Senator nicht vorladen könne. Der damalige Justizminister Gary Lissade war zuvor der Anwalt von Dany Toussaint gewesen. 

Der erste Richter im Fall Jean Dominique wurde wiederholt bedroht, und 2002 weigerte sich Präsident Aristide, dessen Mandat zu verlängern. 

2003 kam der Richter Bernard Saint-Vil zu dem Schluss, dass eine kleine Gruppe von Kleinkriminellen für den Mord verantwortlich wären, dass aber nicht genügend Beweise vorlagen, um Dany Toussaint anzuklagen. Dieses Urteil wurde von Dominiques Witwe Michèle Montas angefochten. Sie forderte, dass die geistigen Urheber des Verbrechens gefunden und bestraft werden. 

Ende 2004 verschwanden mehr als 75 % der Dokumente zu den Ermittlungen aus dem obersten Gerichtshof Haitis. Darüber hinaus starben mehrere Verdächtige und Zeugen unter mysteriösen Umständen. 

Zuletzt wurde im März 2015 Aristides ehemaliger Sicherheitschef Oriel Jean von Unbekannten erschossen, woraufhin der Journalist Guy Delva ein Interview veröffentlichte, in dem Jean andeutete, dass Aristide die Ermordung von Dominique angeordnet habe.[Bis heute wurden die Urheber des Verbrechens nicht vor Gericht gestellt.

Am Weihnachtstag 2002 wurde auf Michèle Montas ein Mordanschlag verübt, bei dem ihr Leibwächter ermordet wurde. Angesichts der zunehmenden Bedrohung der Sicherheit der Journalisten von RADIO HAITI wurde der Sender im Februar 2003 endgültig geschlossen.

Jonathan Demme berichtete 2003 in seinem Dokumentarfilm „The Agronomist“ über das Leben und den Tod von Dominique.

Das Centre de Production Agricole Jean L. Dominique in Marmelade im Norden Haitis, das 2001 vom ehemaligen Präsidenten René Preval in Erinnerung an Dominique gegründet wurde, ist ein landwirtschaftliches Ausbildungszentrum für Kaffee- und Kakaoproduzenten. Das Zentrum für Wiederaufforstung beherbergt auch eine Genossenschaft von Zitrusbauern mit einer Saftverarbeitungsanlage, während die Bambusbäume auf dem Gelände für die Herstellung von Möbeln verwendet werden.

Die Archive von RADIO HAITI-INTER werden an der Duke University aufgearbeitet, mit dem Ziel, die Aufnahmen von RADIO HAITI zu bewahren, zu digitalisieren und nach Haiti zurückzubringen.

Quelle: wikipedia

Künstlerin: Susanne Köhler